Religionskritik

März 21st, 2018

Ich zweifle immer wieder. Ich stelle meinen Glauben infrage. Es ist erstaunlich, aber immer dann, wenn ich krank bin, wenn ich mich sehr schlecht fühle, wenn ich lust- und antriebslos bin und fürchte, dass es mir noch schlechter gehen könnte, beginne ich den Glauben innerlich abzulehnen und als schal und langweilig, als Propaganda und Massenkontrollinstrument zu sehen. Doch sobald es mir körperlich besser geht, wenn meine Kräfte zurückkehren, wenn ich wieder Freude am Leben empfinde und wieder beginne, Pläne zu machen, gewinnt der Glaube wieder an Bedeutung. Dann kann habe ich Lust zu beten und zu singen und mich affirmativ mit Gott zu beschäftigen.

Immer dann wenn ich zweifle, ist meine größte Sorge, dass das Christentum allein ein Propagandainstrument zur Ruhigstelleung und Instrumentalisierung der Massen darstellt. Ich fürchte, dass all die Zeitungen und Zeitschriften, die Predigten in den Gottesdiensten, die Perikopenauswahl, die Verlautbarungen der Kirchenoberen, kirchenhistorische Einschätzungen, Heiligenlegenden, ja dass sogar die Bibel selbst ein Propagandainstrument zur Manipulation und Ausbeutung des weniger intelligenteren Menschen durch den Klugen darstellt.

Ich fürchte, dass die Begeisterung, die die Prediger in Megachurches auslösen, die Musik, das Wohlstandsevangelium, das dort gepredigt wird, nur einem Zweck dient, der gegenseitigen Bereicherung von Propagandisten und ihren generösen Spendern. Ich fürchte, dass die Verquickung staatlicher Stellen und persönlicher Beziehungen, z.B. der Fraktionsvorsitzenden der Grünen mit einem EKD-Vorstandsmitglied dazu beiträgt, dass eine bestimmte politische Agenda in den Kirchen umgesetzt werden kann.

Diese Gedanken ekeln mich an und stoßen mich ab. Wie kann dieses Evangelium, wie kann dieser Glaube derart pervertiert werden? Und trage ich selbst durch meinen Glauben und meine Mission nicht auch zu diesem Mißbrauch bei?

Und noch weiter gedacht: Suche ich nicht selbst für mich mittels des Reichtums des Evangeliums irdischen Reichtum zu erlangen?

Im Angesicht dieser Zweifel erscheint diese intelligente Religionskritik äußerst willkommen:

Ist es nicht vernünftig und sinnvoll sich auf Überprüfbares und Logisches zu beschränken, anstatt den Losungen einer “Wüstenreligion” zu folgen, die ein grausames Erbe mit sich herumschleppt? In der menschliche Grausamkeit als wahrhaft “gottgewollt” dargestellt wird?

Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Kritik um die wohlfeile Kritik des theologisch-religiös Ungebildeten. Christus verficht mitnichten die menschliche Grausamkeit als erlaubt weil “gottgewollt”. Es stellt die Grausamkeit als offenbar existenten Teil der menschlichen Natur dar … der jedoch beständig bezwungen werden will … und zwar durch die Liebe Gottes.

Aber ist diese “Liebe Gottes” nicht letztlich ein Mittel zum Zweck der Züchtung benutzbarer Sklaven, die alle Lasten tragen, ohne sich zu beschweren oder gar gegen Ausbeutung und Ungerechtigkeit zu wehren?

Indem ich einen Menschen zu einem funktionierenden Instrument der Ausbeutung seiner Arbeitskraft erziehe, indem ich ihm den Untertanengeist, den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit vermittle, trage ich damit nicht zur Verstärkung von Ungerechtigkeit und schließlich Unmenschlichkeit bei?

Aber ist das die Botschaft des Evangeliums? Dass der Mensch ein Sklave des Menschen sei?

Wenn ich das Evangelium richtig verstanden habe, geht es darum, dass der Mensch allein ein Diener Gottes sein solle und – insoweit seine weltliche Obrigkeit ebenfalls Gott dient – dass er ihr nachfolge. So dies aber nicht der Fall ist, gilt das Gesetz, dass der Mensch nicht zwei Herren dienen könne, Gott und dem Mammon, den Götzen der weltlichen Macht.

Apostelgeschichte 5:27-29

Man führte sie herbei und stellte sie vor den Hohen Rat. Der Hohepriester verhörte sie und sagte: Wir haben euch streng verboten, in diesem Namen zu lehren; und siehe, ihr habt Jerusalem mit eurer Lehre erfüllt; ihr wollt das Blut dieses Menschen über uns bringen. Petrus und die Apostel antworteten: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Aber wie gehorcht man Gott letztlich mehr als den Menschen? Wie geht das? Wie kann man das schaffen? Indem man hinhört und prüft und eine Entscheidung trifft. Immer und und immer wieder. Für Gott und gegen den Götzendienst. Auch den Götzendienst der Kirche, die Vergötzung der Theologie, die Vergötzung der Bibel, die Vergötzung der Klugheit, die Vergötzung der Macht. Gott allein die Ehre zu geben. Ihm zuzuhören und ihn zu lieben. Zur Liebe gehören Stille und Ruhe und ein offenes Herz … auch für den Schmerz, das Leid, die Trauer.

Dazu gehört auch der Zweifel. Dazu gehört auch die grundlegende Religionskritik. Die Kritik der Kirche, die Kritik der Macht, die Kritik der Erstarrung, der Lieblosigkeit, der Verhärtung des Herzens in der Angst.

Und so darf ich die Langeweile und Leblosigkeit erstarrter Traditionen erkennen und mich daran stören. Ich darf die Religion als Macht- und Propagandainstrument sehen und infrage stellen. Und wenn ich das tue, dann öffnet sich mein Herz auch wieder für die Wahrhaftigkeit, die Heiligkeit und die Liebe, die ich in diesem Evangelium finde.

Es ist Sonntag, draußen ist es sonnig und kalt. Drin warm und gemütlich. Und eben dachte ich noch, während ich nach dem Mittagessen aus dem Fenster auf die fernen Berge sah und nachsann, ich sei erlöst. Ich war durchdrungen von der tiefen Erkenntnis, dass wir einen unmittelbaren Zugang zu Gott haben können. Ich fühlte mich entspannt und gelassen. Ich sah gute Phantasien und Szenen vor meinem inneren Auge, die mir Hoffnung gaben und mich froh machten. Ich wußte, bei allem Bösen, das es in dieser Welt gibt, bei all dem, was Menschen einander antun, wie sie sich verletzen und kränken, wie sie einander versklaven, quälen und töten, es gibt auch in dieser Welt Hoffnung und Trost. Und ich wußte, ich habe ein Recht auf diese Hoffnung und diesen Trost. Ich muss diese Kraft, die ich da spüre nicht verdrängen und in Arbeitskraft und Leistung umsetzen. Ich kann und darf in dieser Sicherheit, diesem Vertrauen ruhen.

Diesen Glauben verdanke ich Jesus Christus und allen seinen Nachfolgern. Hätte es Jesus nie gegeben, würde ich auch heute, am Sonntag, so wie früher arbeiten und damit möglichst großem Besitz und Ansehen nachjagen, um mich gegen jeden Angriff oder Vorwurf der Wert- und Sinnlosigkeit zu immunisieren. Dank Jesus aber darf ich ruhig sein und muss mich nicht fürchten, nicht stressen, nicht quälen, nicht jagen, sondern darf einfach da sein, wie die Blumen auf dem Feld und ich darf auf das hören, was Gott mir sagt und zeigt, weil ich dank Jesus, seinen Jüngern, den Aposteln, der Kirche der Glaubenden weiß, dass wir Kinder Gottes und ihm ganz nah sind.

Und dann … dann trat ein Mensch zu mir und sprach weinend: Du bist schuld, dass ich leiden muss. Du bist verantwortlich für mein jetziges, gestriges und künftiges Leid. Du bist schuld.

Und ich? Ich verlor die Beherrschung. Und ich begann laut und vehement zu argumentieren. Zu diskutieren. Ja ich schrie sogar: “Was soll der der Scheiß?”

Ich war nicht in der Lage die Schuld auf mich zu nehmen. Ich wehrte mich und fühlte mich ungerecht behandelt. Wie soll man eine solche Schuld tragen? Einen solchen pauschalen Vorwurf annehmen? Unmöglich! Erniedrigend! Demütigend! Niemals! Der andere ist selbst schuld. Was gerecht ist, muss gerecht bleiben.

Und ich dachte, ich sei erlöst. Ich dachte, bei allem Bösen, das es in dieser Welt gibt, bei all dem, was Menschen einander antun, wie sie sich verletzen und kränken, wie sie einander versklaven, quälen und töten, es gibt auch in dieser Welt Hoffnung und Trost. Ich dachte, ich habe ein Recht auf diese Hoffnung und diesen Trost.

Und ich merkte, ich habe nicht nur das Recht dazu, sondern auch die Pflicht. Wenn ich Gerechtigkeit will, muss ich mich ihren Gesetzen, seinen Gesetzen unterwerfen. Oh Gott, sei meiner armen Seele gnädig!