Lebenszeichen 👣

August 13th, 2017

Am 24. Dezember 2016, um 22 Uhr erreichte mich eine Whatsapp einer Freundin. Meine ganze Familie saß nach dem Abendbrot am Heiligabend noch gemĂŒtlich beisammen vor dem flackernden Kaminfeuer. Die Kinder spielten und die Großen blĂ€tterten in ihren neu geschenkten BĂŒchern, unterhielten sich leise oder spielten etwas. Da piepte mein Handy. Es war eine Nachricht von Kim. Sie war verzweifelt. Sie war allein. Wir hatten seit Jahren nicht gesprochen.

Ich kenne diese Freundin schon seit vielen Jahren. Sie war schon zur Zeit ihres Studiums Alkoholikerin. Trotzdem hat sie das Studium abgeschlossen und eine Weile als Lektorin gearbeitet. Sie ist eine begabte SÀngerin und Poetin. Mit einer wundervollen Stimme. Vor zwei Jahren nahm sich ihre Mutter vor ihren Augen das Leben. Stand auf, öffnete das Fenster und sprang heraus. Kim gibt sich die Schuld an diesem Suizid. Am Heiligabend schrieb sie mir dann diese verzweifelte Whatsapp-Nachricht mit dem Bild eines Grabsteins. Der Grabstein ihrer Mutter.

Ich war verwirrt und erschrocken. Was schreibt man so einem Menschen, der nach Jahren der Funkstille plötzlich in grĂ¶ĂŸter Verzeiflung um Hilfe schreit. Ich war ĂŒberfordert und auch ein wenig verĂ€rgert. Warum schreibt sie mir gerade am Heiligabend eine so schreckliche Nachricht und macht mir meinen schönen Heiligabend kaputt?

Ich habe lange ĂŒberlegt, ob ich ihr antworten soll. Und wenn, wie?

Und die einzige Antwort die ich hatte war eine wunderbare Predigt, die ich kurz zuvor gehört und die mich sehr berĂŒhrt hatte.

Kim war Atheistin. Sie ist – wie ich – ganz und gar ohne Kirche aufgewachsen. Aber so wie ich war sie schon immer auf der Suche. Studierte Philosophie und hatte sich eine Art pantheistisches Weltbild zurechtgezimmert. Und dann erzĂ€hlte ich ihr am Heiligabend von Jesus.

Das war schwer nachvollziehbar fĂŒr sie. Sie bedankte sich höflich aber verstĂ€ndnislos. Aber ihr Schicksal beschĂ€ftigte mich weiter. Und auch sie schrieb mir weiter und erzĂ€hlte mir ihre Geschichte. Und so erzĂ€hlte ich ihr auch meine. Dass ich ohne Jesus nicht hier sĂ€ĂŸe und ihr schreiben wĂŒrde. Und dass ich jemanden gebraucht habe, der mir das erklĂ€rt und ĂŒbersetzt.

Und dann hatte ich eine Idee: Wie wĂ€re es, wenn ich ihr tĂ€glich ein Lebenszeichen 👣 von Gott in ihr einsamens, schuldbeladenes Leben schicke?

Und so habe ich das dann gemacht. Ein Vierteljahr lang habe ich ihr jeden Abend eine Whatsapp mit einem Lebenzeichen 👣 geschickt. Mal ein Lied. Mal eine Predigt. Mal ein schönes Bild oder ein guter Gedanke. Manchmal habe ich versucht, ihr meinen Glauben zu erklĂ€ren und Bibelworte in ihre Sprache zu ĂŒbersetzen.

Und das Schönste daran war, dass diese kleinen Lebenszeichen mir selbst gut taten. Ich beschÀftigte mich noch intensiver mit meinen Glauben als sowieso schon. Und durch den Versuch, es ihr gut verstÀndlich und positiv zu machen, gewann ich selbst ganz neue Perspektiven.

Irgendwann hörte sie auf, mir zu antworten. Es wurde still. In diese Stille hinein sandte ich die Lebenszeichen 👣 jeden Tag aufs Neue. Manchmal wurde mir das lĂ€stig, mir jeden Abend etwas auszudenken. Manchmal habe ich es nicht geschafft, vor um 10 noch eine Nachricht zu schicken. Aber fast immer klappte es. Irgendwann antwortete sie mir wieder und fragte nach.

Und dann kam die Nachricht, dass sie mal in einen Gottesdienst gegangen sei und es sehr schön fand. Sie berichtete mir von ihrem allerersten Abendmahl. Wie sie sah, dass die anderen eine Oblate bekamen und sie ihre in den Mund steckte, die anderen aber nicht. Als die anderen ihre aufbewahrte Oblate anschließend in den Wein tauchten, bekam sie einen Schreck, was sollte sie machen? Aus dem Kelch zu trinken, aus dem kein anderer vor ihr getrunken hatte? Nein! Und so steckte sie ihren Finger in den Wein und leckte ihn ab.

Sie berichtete mir von ihren GesprĂ€chen mit Freunden ĂŒber Gott. Und sie schickte mir ihre kleinen Ideen und Gedanken zum Thema.

Zu Ostern habe ich dann aufgehört ihr tĂ€glich Nachrichten zu schreiben. Ich habe sie entlassen und ihr die Gelegenheit gegeben, nun einfach selbst nach Lebenszeichen 👣 von Gott zu suchen.

Und dann wurde es wieder still.

Im Juni schrieb sie mir dann eine Nachricht. Sie wolle sich – nach einer Taufvorbereitung – taufen lassen und ob ich zu ihrer Taufe kĂ€me. Ich habe gern zugesagt.

Wenn ich hin und wieder ihr Whatsappprofil besuche, dann finde ich dort mal ein Kreuz oder einen Segen oder – gerade heute – ein Kirchenfenster.

Seit ich aufgehört habe, ihr die kleinen Lebenszeichen 👣 von Gott zu schicken, fehlen sie mir. Und so habe ich beschlossen, wieder damit zu beginnen, welche an eine Freundin in Not zu schicken. Gleich heute.