Die Sache mit der Toleranz
Dezember 17th, 2008
Die Europäische Kommission organisiert mit seinem halbjährlichen Eurobarometer öffentliche Meinungsumfragen in den Mitgliedsstaaten, die für jedes Land repräsentativ sind. Im 69. Eurobarometer (Erhebungszeitraum 25. März bis 4. Mai 2008; Publikation November 2008) wurde in den beteiligten 31 Ländern (neben den 27 Mitgliedstaaten die drei Kandidaten Kroatien, Mazedonien und Türkei und die türkische Gemeinschaft in Zypern) nach allgemeinen ethisch-moralischen Werten gefragt.
Es waren zwölf Werte vorgegeben:
* Rechtsstaatlichkeit
* Respekt gegenüber menschlichem Leben
* Menschenrechte
* Freiheit des Einzelnen
* Demokratie
* Frieden
* Gleichheit
* Solidarität, Unterstützung anderer
* Selbstverwirklichung
* Toleranz
* Religion
Die Befragten wurden zweimal nach diesen Werten befragt. Zum einen lautetet die Frage: „Welche drei der folgenden Werte sind für Sie persönlich am wichtigsten? (Maximal 3 Nennungen), und beim zweiten Mal: „Welche drei der folgenden Werte repräsentieren am besten die Europäische Union?”
Korreliert man nun die am am häufigsten genannten Begriffe miteinander und betrachtet den Wert Religion genauer, stellt man ein nicht wirklich überraschendes Resultat fest:
Der einzige wirklich signifikante Zusammenhang scheint zwischen Religion und Toleranz zu bestehen. Und zwar ein negativer. D.h. bei den Ländern in denen Religion als Wert ganz oben auf der Liste stand, hatte Toleranz dort garantiert keinen Platz. Dieser Befund passt in das Bild, das man von ethnozentristischer Religiosität hat.
«Religiosität macht – unabhängig von der Religion – vorurteilsbereiter. »
Alle anderen Werte scheinen offenbar mit Religion nicht in Zusammenhang zu stehen, vor allem nicht Frieden, Gleichheit und Solidarität, die von Religiösen häufig für sich beansprucht werden, aber selbstverständlich vor allen auch nicht der Respekt für andere Kulturen. Lediglich Menschenrechte, Respekt vor menschlichem Leben, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und – ja auch – Selbstverwirklichung weisen eine winzige, aber unbedeutsame Tendenz auf.
Einen ebenfalls signifikanten negativen Zusammenhang gibt es zwischen Selbstverwirklichung und Menschenrechten, Respekt gegenüber menschlichem Leben und Demokratie, Solidarität und Rechtstaatlichkeit und natürlich gibt es einen positiven Zusammenhang zwischen Toleranz und Respekt für andere Kulturen. Den hat man übrigens vor allem in den Ländern Dänemark, Niederlande und Luxemburg, welche eher für ihre Gottlosigkeit bekannt sind.
Dezember 21st, 2008 at 11:26
Ohne mir jetzt die Studie en detail anzuschauen, nur mal zwei Einwürfe:
– Du weißt selbst, was Korrelationen und wie sie zu interpretieren sind 😉
– Nur, weil mir etwas wichtiger ist, heißt es nicht, dass mir anderes unwichtig ist. Wenn meine (fiktiven) Wichtigkeitspunkte 15,00; 14,97; 14,89; 14,75 bis vielleicht 12,xx sind, auf einer (fiktiven) 15-stufigen Skala, so mag es zwar eine Reihenfolge geben, die “unteren Werte” aber immer noch äußerst wichtig sein. Muss nicht, kann aber und ist laut oben geführten Äußerungen aus der Studie nicht ablesbar.
Dezember 22nd, 2008 at 11:36
Und? Was willst Du mir damit sagen? Dass die Erhebung und Interpretation von Korrelationen überflüssig ist?
Und richtig, eine differenziertere Skala wurde hier nicht erhoben und ist nicht ermittelbar. Deshalb müssen wir von einer zufälligen Verteilung ausgehen. Du kannst gern Deine Hypothese testen. Bis zum Test und zur Falsifikation ist und bleibt Deine Kritik eine Hypothese unter vielen anderen ungetesteten, die die Ergebnisse oben nicht ernsthaft infragestellen können. 🙂
Dezember 22nd, 2008 at 11:45
Nein, nur dass der Schluss Religion –> Intoleranz davon ausgehend kausal nicht möglich/zulässig ist. Der Eindruck kann hier jedoch entstehen.
Dezember 22nd, 2008 at 12:58
Ok, was Andreas Zick da gesagt hat ist nicht korrekt. Und selbstverständlich besteht nur ein einfacher Zusammenhang. Menschen in Ländern, die Toleranz als einen ihrer drei wichtigsten Werte nannten, nannten nicht Religion und umgekehrt. Genauso steht das da oben.
Ich finde diesen Zusammenhang – vor allem, dass er so stark ist – ziemlich bemerkenswert und hätte das in dem Ausmaß nicht vermutet.
Dass dieser Zusammenhang so besteht, könnte nun durch tausende Mediatoren beeinflusst sein. Z.B. allein durch die Sprache und Nation. Das Wort “Toleranz” könnte in Tschechien eine andere Bedeutung haben als in der Türkei. Ähnlich ist es mit der Religion. Aber entscheidend ist ja, was die Leute auf der Straße so sagen und denken. Und wenn in Rumänien Religion für wichtiger gehalten wird als Toleranz, dann kann man sich Gedanken machen woran das liegt. Ob Religiosität zu Toleranz führt oder Toleranz zu Religiosität ist nur sehr schwer, wenn überhaupt nicht zu beantworten. Aber Tolerante finden offenbar Religion weniger wichtig und Religiöse Toleranz.
Das ist das, was da oben steht. Ich finde, dass es offenbar einen Zusammenhang gibt, ist schlimm genug und kein wirklich überraschendes Ergebnis. Oder hattest Du erwartet, dass Menschen, die Religion als einen ihrer wichtigsten Werte angeben, besonders tolerant sind oder Menschen die Toleranz superwichtig finden, der Religion eine erhöhte Wichtigkeit zusprechen?
Dezember 22nd, 2008 at 13:16
Ich zitiere:
[…]Dieser Befund passt in das Bild, das man von ethnozentristischer Religiosität hat.
«Religiosität macht – unabhängig von der Religion – vorurteilsbereiter. »
Selbst wenn es explizit nicht dasteht, kann die Zusammenstellung der Aussagen das implizit suggerieren.
Zu der generellen Streifrage beziehe ich mich auf ein derzeit laufendes Seminar und die Unterscheidung in End-/Means- und Questorientierung 😀 Ungeachtet dessen, ob und wie man letztere vermitteln kann oder nicht.
Dezember 23rd, 2008 at 15:04
Ja, wie gesagt, da muss man differenzieren. Der Schluss “Religion macht vorurteilsbereit” kann richtig sein – muss aber nicht. Er ist zumindest mit dieser Korrelation deutlich wahrscheinlicher.
Was die generelle Frage betrifft: Man kann auch Terrorismus und Faschismus noch differenzieren. Sicher auch in End, Means und Quest. Und Mitglieder der US-amerikanischen National Rifle Organization lassen sich sicher auch entsprechend kategorisieren. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die wesentlichste Basis der Waffennutzung das Töten ist und das in den USA jährlich etwa 30.000 (!) Menschen durch Schußwaffen getötet werden (in Deutschland etwa 1000).
Und hier mal die Liste aktueller Kriege u.a. mit religiösem Hintergrund:
http://de.wikipedia.org/wiki/Andauernde_Kriege_und_Konflikte