Update

Juli 14th, 2021

Es geht wieder. Hat aber auch ein Jahr gedauert. Und nun? Hab ich aufgehört mit dem religiösen Kram? Nö. Es fühlt sich an wie “next level”. Ruhiger, reflektierter, geerdeter, vernünftiger. Ich hab meine Erfahrungen gemacht und habe lange darüber nachgedacht. Zwei Erkenntnisse haben sich bei all dem nun herausgesiebt:

1. Man kann auf der emotionalen Welle religiöser Gefühle ziemlich weit rausschwimmen … bis man den festen Boden aus den Augen verliert.

2. Es gibt da draußen Leute, die die Fähigkeit zur Vermittlung hochemotionaler religiöser Phantasien zur Perfektion getrieben haben. Das kann echt “addictive” werden.

Hier muß man sehr genau hinschauen, wem man sich da mit seiner Psyche anvertraut. Anonymen Randos im Internet jedenfalls möglichst nicht.

Und sonst? Das Leben ist wieder schön. Die Sonne scheint, die grünen Bäume rauschen, die Vögel singen und es gibt echt nette Menschen da draußen, die es ernst meinen mit dem nett sein. Die sich Mühe geben und auch mal mitfühlen und sich zuweilen zurücknehmen. Ich üb’ das auch. Und ich glaub, das war schon vor vielen Jahren richtig, als ich das mit dem Glauben kennengelernt habe. Damals an der Hand von Eugen Drewermann mit seinen Exegesen des Neuen Testaments.

Ich habe in den letzten Jahren so viele Spielarten christlichen Lebens kennengelernt, aber die wenigsten entsprechen dem idealen Bild, das ich mir davon gemacht habe. Christen sind offenbar auch nur Menschen. Aber eines bleibt als Erfahrung: Sie geben sich meist etwas mehr Mühe als die anderen, nett zu sein. Das macht das eh schon schwierige menschliche Zusammenleben deutlich einfacher. Und Kinder lassen sich mit diesen Grundwerten auch besser zu sozial kompetenten Menschen erziehen.

Einen Fehler darf man nicht machen: Man darf die Geschichtend der Bibel nicht(!) als historische-wissenschaftliche Geschichtsschreibung lesen. Sondern es sind symbolisch-metaphorische Erzählungen, die universelle Fragen des menschlichen Leben allegorisch beantworten. Das ist nicht leicht zu verstehen. Aber wenn man es verstanden und begriffen hat, erschließt sich ein krasser Reichtum menschlicher Erfahrung. Und ich ertapppe mich immer wieder dabei, wie ich in eigenen, ungerichteten Reflektionen auf biblische Motive zurückfalle.

Hier kulminiert soviel unerschöpfliche Weisheit, dass es manchmal zum Verzweifeln ist, dass man diese Schätze in einem Menschenleben praktisch nicht alle heben kann. Ich liebe es. Und ich würde mich inzwischen als “Bible nerd” bezeichnen. Die Vertiefung in diese Texte macht einfach unendlich Freude.

Joa, also, mir geht es gut und ich erlebe jeden Tag, dass sich zwar die Kirchen leeren, dass der Glaube unter den Menschen lebendiger ist denn je. Wie sollte es auch anders sein? Wenn man ein solches Meisterwerk in den Händen hält, einen solchen Schatz, wie sollte man das je loslassen? Natürlich verlieren die Kirchen an Macht. Und das ist auch gut so. Als Institutionen, die ihre Macht mißbraucht haben, haben Sie versagt. Aber der Same des echten christlichen Glaubens, der sich in der tiefen Kenntnis der Bibel gründet, wird ganz sicher weiter durch die Generationen getragen, da bin ich überzeugt.

Nur Sitzen

Juni 23rd, 2020

Wieder am Nullpunkt.

Nachdem ich mich, geradezu fanatisch, wieder in geistige Welten gestürzt habe, diesmal aller Spielarten des Religiösen, stehe ich erneut vor einem Scherbenhaufen. Religiös zu sein, mich religiös zu verhalten, in der Bibel zu lesen, zu beten, zum Gottesdienst zu gehen, in der Gemeinde engagiert zu sein, theologische Texte zu verschlingen usw., erschien mir als Erlösung; Erlösung vom Leiden an mir selbst und an der Welt; Erlösung von der Angst vor dem Existenzverlust, der Angst vor dem Verlust alles dessen, was ich liebe.

Und nicht nur das, es enthielt – in Form des “Wohlstandsevangeliums” – die Verheißung, wenn man Kraft und Geld spendet und leistet und sich immer besser an die Regeln hält, wird man künftig freier von Leid sein dürfen als andere. Wohlhabend, fokussiert, engagiert, angesehen, respektiert.

Versprachen die Texte, die Lieder, die Gebete, die ständige Beschäftigung mit Glaubensinhalten doch, dass man sich nicht mit sich selbst beschäftigen muss, sondern auf eine Art irdische Erlösung, ein religiöses Idyll, mit wohlgeratenen Kindern, einer erfolgreichen Berufstätigkeit und einer liebevollen Familie zustrebt. Ja, sie waren das Ziel, der Beschäftigung mit sich selbst und seiner eigenen, kleinen Welt und der ständigen Verlustangst auszuweichen.

Doch, wenn man einmal von dem Nektar der Versprechungen gekostet hat, will man immer mehr. Ja, braucht man immer mehr. Der Glaube wird zur Sucht. Kommt ein Leid, ein Schmerz auf, wenn man morgens erwacht, greift man zum Andachtsbuch. Belastet etwas am Tag, findet man Ablenkung im Gebet. Hält man die Stille bei der Hausarbeit nicht aus, hört man christlichen Pop. Man weicht ständig aus, stillt den Schrei der Seele nach Aufmerksamkeit mit Verheißungen auf später oder das Jenseits.

Und schlimmer noch: Geht man all diesen Beschäftigungen nicht nach, folgt die Strafe auf dem Fuße. Man fühlt sich schlecht, tatsächlich, weil man endlich merkt, dass wirklich, tatsächlich(!) etwas fehlt im eigenen Leben: vor allem Ruhe. Aber gedanklich völlig gefangen im Überzeugungssystem des Glaubens – was kann das anderes sein, als die Strafe Gottes, der einen für die mangelnde Beschäftigung mit sich züchtigt? Also läuft das Hamsterrad weiter. Aber zu der anfänglichen, unverstellten Freude kommt nun Angst dazu, davor, von all dem religiösen Brimborium abzulassen.

Dem Glauben wohnt der Hang zum Fanatismus inne. Das ist eine Binsenweisheit. Und so wie alles, was man ohne Maß betreibt, wird es damit zum Gift.

Hochmütig hatte ich vor 8 Jahren im Gespräch mit einer sehr glaubwürdigen Christin geprahlt, ich sei immun gegen diese Gefahr des “Gotteswahns”. Aber ich war es offenbar nicht. Und so raste ich mit Karacho in die Krise.

Jetzt sammle ich meine Einzelteile langsam wieder zusammen. Und ich gerate auf den Grund des religiösen Denkens, der Botschaft Jesu und der Sicht des Zen. So wie Carl-Friedrich von Weizsäcker schrieb:

“Nach einem alten Satz trennt uns der erste Schluck aus dem Becher der Erkenntnis von Gott, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott auf den, der ihn sucht.”

Auf dem Grund des Bechers liegt nichts als der “gesunde Menschenverstand”. Erhofft man, durch wie auch immer geartetes religiöses Handeln (Lesen, Beten, Singen, Denken) im Exzess Erleuchtung oder Befreiung zu erlangen, dann irrt man.

All diese Praktiken dienen im Grunde dazu, sich im Angesicht anderer Menschen immer angenehmer zu machen. Betreibt man sie jedoch exzessiv, wird man gestreßt, unleidlich und fordernd. Man wird zur Zumutung für Angehörige und Kollegen. Man treibt das Hamsterrad, in der Suche nach Selbsterlösung, immer weiter an. Und wird doch immer nur noch gestreßter. Man will dem Streß entfliehen, der einem soviel Angst und Ärger über und mit anderen bereitet, aber ehe man nicht wirklich aussteigt, aus diesem Hamsterrad, sondern nur noch mehr macht, um weniger machen zu dürfen, dreht sich das Rad immer verrückter.

Albert Schweitzer hat dieses religiöse Leben und Arbeiten nahezu exzessiv betrieben. Als Kirchenmusiker und Theologe ist er zum Grund des Bechers vorgestoßen und hat erkannt, Gotteserkenntnis und Befreiung liegt nicht in exzessivster theologischer Erkennntnis oder religiöser Praxis, sondern in Menschlichkeit und der sprichwörtlichen “Ehrfurcht vor dem Leben”, also dem gegenüber, was uns an der Manifestation Gottes (was immer dieser Begriff auch bedeuten mag) wirklich zugänglich ist. Und das sind zuallererst wir selbst: Leben! Und unsere Mitmenschen, Tiere, Pflanzen, ja alles was ist, ist Teil dieses “Lebens”.

Ich habe aufgehört zu beten.

Ich lese nur noch sehr wenig.

All die Lieder, die mich so erhoben, sind mir zuwider geworden.

Ich sitze jetzt nur noch und schaue.

Auf meinen Atem.

Auf meine Gedanken.

Wie sie vorbeiziehen.

Auf die Vögel.

Die Sonne.

Die Wolken.

Und ich finde den Frieden, den ich so verzweifelt gesucht habe.

Indem ich einfach warte.

Kommt er zu mir.

Ich muss ihn nicht jagen.

Ich finde ihn nicht in der Arbeit.

Nicht in der Mühe.

Allein im Nichtstun und warten.

Mit dieser Kraft kann ich dann tun, was mir wirklich aufgetragen ist.

Klarer, echter, wahrer, kraftvoller und hoffnungsvoller als je zuvor.

Nur sitzen.

Ich muss nicht mal warten.

Er kommt.

Ist.

Religionskritik

März 21st, 2018

Ich zweifle immer wieder. Ich stelle meinen Glauben infrage. Es ist erstaunlich, aber immer dann, wenn ich krank bin, wenn ich mich sehr schlecht fühle, wenn ich lust- und antriebslos bin und fürchte, dass es mir noch schlechter gehen könnte, beginne ich den Glauben innerlich abzulehnen und als schal und langweilig, als Propaganda und Massenkontrollinstrument zu sehen. Doch sobald es mir körperlich besser geht, wenn meine Kräfte zurückkehren, wenn ich wieder Freude am Leben empfinde und wieder beginne, Pläne zu machen, gewinnt der Glaube wieder an Bedeutung. Dann kann habe ich Lust zu beten und zu singen und mich affirmativ mit Gott zu beschäftigen.

Immer dann wenn ich zweifle, ist meine größte Sorge, dass das Christentum allein ein Propagandainstrument zur Ruhigstelleung und Instrumentalisierung der Massen darstellt. Ich fürchte, dass all die Zeitungen und Zeitschriften, die Predigten in den Gottesdiensten, die Perikopenauswahl, die Verlautbarungen der Kirchenoberen, kirchenhistorische Einschätzungen, Heiligenlegenden, ja dass sogar die Bibel selbst ein Propagandainstrument zur Manipulation und Ausbeutung des weniger intelligenteren Menschen durch den Klugen darstellt.

Ich fürchte, dass die Begeisterung, die die Prediger in Megachurches auslösen, die Musik, das Wohlstandsevangelium, das dort gepredigt wird, nur einem Zweck dient, der gegenseitigen Bereicherung von Propagandisten und ihren generösen Spendern. Ich fürchte, dass die Verquickung staatlicher Stellen und persönlicher Beziehungen, z.B. der Fraktionsvorsitzenden der Grünen mit einem EKD-Vorstandsmitglied dazu beiträgt, dass eine bestimmte politische Agenda in den Kirchen umgesetzt werden kann.

Diese Gedanken ekeln mich an und stoßen mich ab. Wie kann dieses Evangelium, wie kann dieser Glaube derart pervertiert werden? Und trage ich selbst durch meinen Glauben und meine Mission nicht auch zu diesem Mißbrauch bei?

Und noch weiter gedacht: Suche ich nicht selbst für mich mittels des Reichtums des Evangeliums irdischen Reichtum zu erlangen?

Im Angesicht dieser Zweifel erscheint diese intelligente Religionskritik äußerst willkommen:

Ist es nicht vernünftig und sinnvoll sich auf Überprüfbares und Logisches zu beschränken, anstatt den Losungen einer “Wüstenreligion” zu folgen, die ein grausames Erbe mit sich herumschleppt? In der menschliche Grausamkeit als wahrhaft “gottgewollt” dargestellt wird?

Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Kritik um die wohlfeile Kritik des theologisch-religiös Ungebildeten. Christus verficht mitnichten die menschliche Grausamkeit als erlaubt weil “gottgewollt”. Es stellt die Grausamkeit als offenbar existenten Teil der menschlichen Natur dar … der jedoch beständig bezwungen werden will … und zwar durch die Liebe Gottes.

Aber ist diese “Liebe Gottes” nicht letztlich ein Mittel zum Zweck der Züchtung benutzbarer Sklaven, die alle Lasten tragen, ohne sich zu beschweren oder gar gegen Ausbeutung und Ungerechtigkeit zu wehren?

Indem ich einen Menschen zu einem funktionierenden Instrument der Ausbeutung seiner Arbeitskraft erziehe, indem ich ihm den Untertanengeist, den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit vermittle, trage ich damit nicht zur Verstärkung von Ungerechtigkeit und schließlich Unmenschlichkeit bei?

Aber ist das die Botschaft des Evangeliums? Dass der Mensch ein Sklave des Menschen sei?

Wenn ich das Evangelium richtig verstanden habe, geht es darum, dass der Mensch allein ein Diener Gottes sein solle und – insoweit seine weltliche Obrigkeit ebenfalls Gott dient – dass er ihr nachfolge. So dies aber nicht der Fall ist, gilt das Gesetz, dass der Mensch nicht zwei Herren dienen könne, Gott und dem Mammon, den Götzen der weltlichen Macht.

Apostelgeschichte 5:27-29

Man führte sie herbei und stellte sie vor den Hohen Rat. Der Hohepriester verhörte sie und sagte: Wir haben euch streng verboten, in diesem Namen zu lehren; und siehe, ihr habt Jerusalem mit eurer Lehre erfüllt; ihr wollt das Blut dieses Menschen über uns bringen. Petrus und die Apostel antworteten: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.

Aber wie gehorcht man Gott letztlich mehr als den Menschen? Wie geht das? Wie kann man das schaffen? Indem man hinhört und prüft und eine Entscheidung trifft. Immer und und immer wieder. Für Gott und gegen den Götzendienst. Auch den Götzendienst der Kirche, die Vergötzung der Theologie, die Vergötzung der Bibel, die Vergötzung der Klugheit, die Vergötzung der Macht. Gott allein die Ehre zu geben. Ihm zuzuhören und ihn zu lieben. Zur Liebe gehören Stille und Ruhe und ein offenes Herz … auch für den Schmerz, das Leid, die Trauer.

Dazu gehört auch der Zweifel. Dazu gehört auch die grundlegende Religionskritik. Die Kritik der Kirche, die Kritik der Macht, die Kritik der Erstarrung, der Lieblosigkeit, der Verhärtung des Herzens in der Angst.

Und so darf ich die Langeweile und Leblosigkeit erstarrter Traditionen erkennen und mich daran stören. Ich darf die Religion als Macht- und Propagandainstrument sehen und infrage stellen. Und wenn ich das tue, dann öffnet sich mein Herz auch wieder für die Wahrhaftigkeit, die Heiligkeit und die Liebe, die ich in diesem Evangelium finde.

Es ist Sonntag, draußen ist es sonnig und kalt. Drin warm und gemütlich. Und eben dachte ich noch, während ich nach dem Mittagessen aus dem Fenster auf die fernen Berge sah und nachsann, ich sei erlöst. Ich war durchdrungen von der tiefen Erkenntnis, dass wir einen unmittelbaren Zugang zu Gott haben können. Ich fühlte mich entspannt und gelassen. Ich sah gute Phantasien und Szenen vor meinem inneren Auge, die mir Hoffnung gaben und mich froh machten. Ich wußte, bei allem Bösen, das es in dieser Welt gibt, bei all dem, was Menschen einander antun, wie sie sich verletzen und kränken, wie sie einander versklaven, quälen und töten, es gibt auch in dieser Welt Hoffnung und Trost. Und ich wußte, ich habe ein Recht auf diese Hoffnung und diesen Trost. Ich muss diese Kraft, die ich da spüre nicht verdrängen und in Arbeitskraft und Leistung umsetzen. Ich kann und darf in dieser Sicherheit, diesem Vertrauen ruhen.

Diesen Glauben verdanke ich Jesus Christus und allen seinen Nachfolgern. Hätte es Jesus nie gegeben, würde ich auch heute, am Sonntag, so wie früher arbeiten und damit möglichst großem Besitz und Ansehen nachjagen, um mich gegen jeden Angriff oder Vorwurf der Wert- und Sinnlosigkeit zu immunisieren. Dank Jesus aber darf ich ruhig sein und muss mich nicht fürchten, nicht stressen, nicht quälen, nicht jagen, sondern darf einfach da sein, wie die Blumen auf dem Feld und ich darf auf das hören, was Gott mir sagt und zeigt, weil ich dank Jesus, seinen Jüngern, den Aposteln, der Kirche der Glaubenden weiß, dass wir Kinder Gottes und ihm ganz nah sind.

Und dann … dann trat ein Mensch zu mir und sprach weinend: Du bist schuld, dass ich leiden muss. Du bist verantwortlich für mein jetziges, gestriges und künftiges Leid. Du bist schuld.

Und ich? Ich verlor die Beherrschung. Und ich begann laut und vehement zu argumentieren. Zu diskutieren. Ja ich schrie sogar: “Was soll der der Scheiß?”

Ich war nicht in der Lage die Schuld auf mich zu nehmen. Ich wehrte mich und fühlte mich ungerecht behandelt. Wie soll man eine solche Schuld tragen? Einen solchen pauschalen Vorwurf annehmen? Unmöglich! Erniedrigend! Demütigend! Niemals! Der andere ist selbst schuld. Was gerecht ist, muss gerecht bleiben.

Und ich dachte, ich sei erlöst. Ich dachte, bei allem Bösen, das es in dieser Welt gibt, bei all dem, was Menschen einander antun, wie sie sich verletzen und kränken, wie sie einander versklaven, quälen und töten, es gibt auch in dieser Welt Hoffnung und Trost. Ich dachte, ich habe ein Recht auf diese Hoffnung und diesen Trost.

Und ich merkte, ich habe nicht nur das Recht dazu, sondern auch die Pflicht. Wenn ich Gerechtigkeit will, muss ich mich ihren Gesetzen, seinen Gesetzen unterwerfen. Oh Gott, sei meiner armen Seele gnädig!

Wer jemals versucht hat, die Bibel ganz zu lesen, der wird festgestellt haben, dass er spätestens im Buch der Könige begann, sich schrecklich zu langweilen. Diese Langeweile wird im nachfolgenden Buch der Chronik, das im Prinzip noch einmal die gleichen Geschichten enthält, auf die Spitze getrieben, indem die Geschlechter Israels und Judas und damit hunderte scheinbar zufälliger Namen aufgezählt werden. Neben der Namensaufzählung gibt es lange Beschreibungen über die Macht- und Gewalttaten unterschiedlicher Herrscher und ihrer Geschlechter.

Es ist schrecklich ermüdend und lähmend, ja sogar deprimierend, dieser detaillierten Beschreibung und Huldigung irdischer Macht zu folgen. Die Heere werden immer größer, die Paläste und Tempel immer prunkvoller, die Heerführer immer tapferer und weiser. Gleichzeitig tun sie viele Dinge “die dem Herren übel gefallen”. Und es passiert … nichts. Nun ja, David ersetzt Saul. David zeugt Salomo. Salomo läßt “den Tempel” erbauen und ein König folgt auf den anderen. Und jeder dieser Könige tut mehr oder weniger Dinge, “die dem Herrn übel gefallen” oder “die dem Herrn wohl gefallen”.

Man mag gar nicht glauben, dass in dieser Aufzählung oft scheinbar sinnlosen Leids eine Heilsgeschichte stecken soll. Und doch soll all dies letztlich auf Jesus hinweisen. Das zeigt ein Video des Bibel-Projekts sehr schön:

Kern dieser Aussagen ist letztlich, dass all das, was das Volk Israel da treibt, wenn es sich einen König nach dem anderen sucht und einer dem anderen den Kopf einschlägt, letztlich nur Unglück bringt. Und diese Einsicht springt uns aus jeder Zeile an. Es ist einfach ermüdend, all das zu lesen und zu versuchen dies alles zu verstehen.

Umso erlösender ist es da, im Evangelium zu schmökern. Deshalb ist es für jeden Erstleser des Alten Testaments zu empfehlen, parallel immer auch neutestamentliche Abschnitte zu lesen, da man sonst schier verzweifelt.

Religion als Heilmittel

September 13th, 2017

Lebenszeichen 👣

August 13th, 2017

Am 24. Dezember 2016, um 22 Uhr erreichte mich eine Whatsapp einer Freundin. Meine ganze Familie saß nach dem Abendbrot am Heiligabend noch gemütlich beisammen vor dem flackernden Kaminfeuer. Die Kinder spielten und die Großen blätterten in ihren neu geschenkten Büchern, unterhielten sich leise oder spielten etwas. Da piepte mein Handy. Es war eine Nachricht von Kim. Sie war verzweifelt. Sie war allein. Wir hatten seit Jahren nicht gesprochen.

Ich kenne diese Freundin schon seit vielen Jahren. Sie war schon zur Zeit ihres Studiums Alkoholikerin. Trotzdem hat sie das Studium abgeschlossen und eine Weile als Lektorin gearbeitet. Sie ist eine begabte Sängerin und Poetin. Mit einer wundervollen Stimme. Vor zwei Jahren nahm sich ihre Mutter vor ihren Augen das Leben. Stand auf, öffnete das Fenster und sprang heraus. Kim gibt sich die Schuld an diesem Suizid. Am Heiligabend schrieb sie mir dann diese verzweifelte Whatsapp-Nachricht mit dem Bild eines Grabsteins. Der Grabstein ihrer Mutter.

Ich war verwirrt und erschrocken. Was schreibt man so einem Menschen, der nach Jahren der Funkstille plötzlich in größter Verzeiflung um Hilfe schreit. Ich war überfordert und auch ein wenig verärgert. Warum schreibt sie mir gerade am Heiligabend eine so schreckliche Nachricht und macht mir meinen schönen Heiligabend kaputt?

Ich habe lange überlegt, ob ich ihr antworten soll. Und wenn, wie?

Und die einzige Antwort die ich hatte war eine wunderbare Predigt, die ich kurz zuvor gehört und die mich sehr berührt hatte.

Kim war Atheistin. Sie ist – wie ich – ganz und gar ohne Kirche aufgewachsen. Aber so wie ich war sie schon immer auf der Suche. Studierte Philosophie und hatte sich eine Art pantheistisches Weltbild zurechtgezimmert. Und dann erzählte ich ihr am Heiligabend von Jesus.

Das war schwer nachvollziehbar für sie. Sie bedankte sich höflich aber verständnislos. Aber ihr Schicksal beschäftigte mich weiter. Und auch sie schrieb mir weiter und erzählte mir ihre Geschichte. Und so erzählte ich ihr auch meine. Dass ich ohne Jesus nicht hier säße und ihr schreiben würde. Und dass ich jemanden gebraucht habe, der mir das erklärt und übersetzt.

Und dann hatte ich eine Idee: Wie wäre es, wenn ich ihr täglich ein Lebenszeichen 👣 von Gott in ihr einsamens, schuldbeladenes Leben schicke?

Und so habe ich das dann gemacht. Ein Vierteljahr lang habe ich ihr jeden Abend eine Whatsapp mit einem Lebenzeichen 👣 geschickt. Mal ein Lied. Mal eine Predigt. Mal ein schönes Bild oder ein guter Gedanke. Manchmal habe ich versucht, ihr meinen Glauben zu erklären und Bibelworte in ihre Sprache zu übersetzen.

Und das Schönste daran war, dass diese kleinen Lebenszeichen mir selbst gut taten. Ich beschäftigte mich noch intensiver mit meinen Glauben als sowieso schon. Und durch den Versuch, es ihr gut verständlich und positiv zu machen, gewann ich selbst ganz neue Perspektiven.

Irgendwann hörte sie auf, mir zu antworten. Es wurde still. In diese Stille hinein sandte ich die Lebenszeichen 👣 jeden Tag aufs Neue. Manchmal wurde mir das lästig, mir jeden Abend etwas auszudenken. Manchmal habe ich es nicht geschafft, vor um 10 noch eine Nachricht zu schicken. Aber fast immer klappte es. Irgendwann antwortete sie mir wieder und fragte nach.

Und dann kam die Nachricht, dass sie mal in einen Gottesdienst gegangen sei und es sehr schön fand. Sie berichtete mir von ihrem allerersten Abendmahl. Wie sie sah, dass die anderen eine Oblate bekamen und sie ihre in den Mund steckte, die anderen aber nicht. Als die anderen ihre aufbewahrte Oblate anschließend in den Wein tauchten, bekam sie einen Schreck, was sollte sie machen? Aus dem Kelch zu trinken, aus dem kein anderer vor ihr getrunken hatte? Nein! Und so steckte sie ihren Finger in den Wein und leckte ihn ab.

Sie berichtete mir von ihren Gesprächen mit Freunden über Gott. Und sie schickte mir ihre kleinen Ideen und Gedanken zum Thema.

Zu Ostern habe ich dann aufgehört ihr täglich Nachrichten zu schreiben. Ich habe sie entlassen und ihr die Gelegenheit gegeben, nun einfach selbst nach Lebenszeichen 👣 von Gott zu suchen.

Und dann wurde es wieder still.

Im Juni schrieb sie mir dann eine Nachricht. Sie wolle sich – nach einer Taufvorbereitung – taufen lassen und ob ich zu ihrer Taufe käme. Ich habe gern zugesagt.

Wenn ich hin und wieder ihr Whatsappprofil besuche, dann finde ich dort mal ein Kreuz oder einen Segen oder – gerade heute – ein Kirchenfenster.

Seit ich aufgehört habe, ihr die kleinen Lebenszeichen 👣 von Gott zu schicken, fehlen sie mir. Und so habe ich beschlossen, wieder damit zu beginnen, welche an eine Freundin in Not zu schicken. Gleich heute.

Ich bin jetzt seit etwa 5 Jahren Christ. Vorher habe ich über Gott gesprochen und seine Existenz meistens abgestritten. Jetzt weiß ich, dass es Gott gibt und dass er mich liebt und dass ich nicht mehr sorgen muss, weil ich gerettet bin.

Aber darf ich eigentlich über Gott sprechen? Wer legt das fest? Wer gibt mir die Autorität? Ist das, was ich über Gott sage, wahr? Ist es richtig? Oder ist es so falsch, dass es Menschen ins Unglück führt?

Menschen glauben Menschen, die mächtig sind.

Die Macht der Mächtigen kommt meist daher, dass sie es geschafft haben, über andere Menschen zu herrschen. Wer Menschen Befehle gibt, gilt als Autorität. Je mehr Menschen, desto mehr Autorität. Wer mehr besitzt, gilt als Autorität. Je mehr Besitz, desto mehr Autorität. Und je prachtvoller diese Dinge dargestellt werden, desto beeindruckter sind die Menschen.

Und so ist es auch, dass der, der über mehr Menschen herrscht und den größten Besitz verwaltet, auch als Autorität in Gottesfragen gilt. Die Kirchen verfügen über ein Milliardenvermögen und haben hundertausende Angestellte. Ihre Macht manifestiert sich in prächtigen Kirchenbauten und gar in Burgen und Palästen. Ihnen wird klare Autorität in Gottsfragen zugesprochen, denn sie bilden Pfarrer aus und verwalten der Ausbildung an Universtiäten und Hochschulen, die als absolute weltliche Autorität gelten.

Das heißt, im Grunde darf nur berufen über Gott sprechen, der eine mehrjährige Ausbildung in einem kirchlichen Institut durchlaufen hat. Wie man nur einem Handwerker traut, der einen Meisterbrief hat, so traut man nur einem Pfarrer mit einem Universitätsabschluss.

Nun verlieren die großen Kirchen mehr und mehr an Besuchern und gleichzeitig gewinnen die Freikirchen zunehmend Gläubig hinzu. In Freikirchen haben Prediger das Wort, die in privaten theologischen Instituten ausgebildet wurden. Also letztlich ebenfalls eine gute Ausbildung mit Zertifikat haben.

Kann jemand ein guter oder sogar außergewöhnlicher Handwerker sein, wenn er keinen Meisterbrief hat?

Ganz sicher. Darf ich berufen über Gott reden? Wer gibt mir diese Vollmacht? Und wer spricht sie mir ab?

Alle die, die mit meinem Gottesbild nicht einverstanden sind, weil es ihre Macht und ihre Selbstverständlichkeiten gefährdet, werden mir absprechen über Gott zu reden. Menschen, die ihre Macht auf der Bibel oder anderen heiligen Büchern begründen, werden mir diese Macht absprechen. Im Grunde alle, die anderer Auffassung sind als ich.

Aber wie kann ich dann überhaupt noch mit Glaubwürdigkeit von Gott reden? Wenn mir meine Lehre von Mächtigen und Einflussreichen abgesprochen wird?

Wenn meine Rede von Gott heilt und nicht zerstört.

Dann – und nur dann – rede ich mit Vollmacht. Und jeder, dessen Reden über Gott Seelen zerstört, hat Unrecht. Jeder, dessen Reden über Gott Seelen rettet, hat Recht. Jeder, der mit der Autorität weltlicher Macht und weltlichen Besitzes von Gott redet, redet ohne Vollmacht. Jeder, der ohne weltliche Macht und weltlichen Besitz von Gott redet und Menschen frei macht und heilt, redet einzig mit Vollmacht. Wer Ohren hat, der höre.

Es ist ein beliebtes Hobby unter evangelikalen fundamentalistischen Christen, anderen, die nicht ihrer Meinung sind, Höllenstrafen anzudrohen. Meist geschieht das indirekt, indem Bibelstellen zitiert werden, um damit das bevorstehende Gerichtshandeln Gottes dem Betroffenen ganz klar vor Augen zu führen. Dies dient dann selbstverständlich nicht der Verdammung, sondern der ganz und gar selbstlosen Warnung, vor den schrecklichen Folgen seiner Häresie.

So wird anderen Angst und Schuld gemacht.

Wer bestimmte Zauberformeln nicht aufsagt oder bestimmten Bibelinterpretationen nicht zustimmt, wird mindestens angedroht, dass ihm der Himmel verwehrt wird und dass beim Jüngsten Gericht wohl mit der Hölle rechnen muss.

In manchen Gottesdiensten wird gar radikal abgerechnet mit der elenden Sündhaftigkeit und Verlorenheit der Schäfchen, die allein ewige Verdammnis zur Folge haben wird.

Doch Jesus selbst verbot solche Drohungen. In Lukas 9:52-56 lesen wir:

Es begab sich aber, als sich die Tage seines Heimgangs erfüllten und er sein Angesicht nach Jerusalem richtete, um dorthin zu reisen, sandte er Boten vor sich her. Diese kamen auf ihrer Reise in ein Samariterdorf und wollten ihm die Herberge bereiten. Aber man nahm ihn nicht auf, weil Jerusalem sein Reiseziel war. Als aber das seine Jünger Jakobus und Johannes sahen, sprachen sie: Herr, willst du, so wollen wir sagen, daß Feuer vom Himmel herabfalle und sie verzehre, wie auch Elia getan hat! Er aber wandte sich und tadelte sie und sprach: Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Denn des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erretten. Und sie zogen in ein anderes Dorf.

Und in Johannes 12:47 sagt er:

Und wenn jemand meine Worte hört und nicht hält, so richte ich ihn nicht; denn ich bin nicht gekommen, um die Welt zu richten, sondern damit ich die Welt rette.

Jesus warnt, aber er droht nicht, wenn seinen Worten kein Glauben geschenkt wird. Was ist nun der Unterschied zwischen einer Warnung und einer Drohung?

Eine Warnung geschieht in voller Liebe und ist für den Gewarnten auch als Warnung spürbar, weil er auf eine Gefahr aufmerksam gemacht wird, die er durch die Warnung selbst plötzlich sehen kann.

Eine Drohung dagegen ist eine Erpressung, die eine anderen mit den Mitteln der Angst oder der Schuld zu einer Handlung ohne jede Einsicht zwingen soll. Allein die Angst vor den Folgen läßt den Betroffenen dem Befehl folgen.

Das entscheidende Kriterium an dem man Warnung und Drohung unterscheiden kann, ist also das Gefühl. Fühlt man sich bedroht und verängstigt, ist die Botschaft eine Erpressung und dient allein der Befriedigung des Erpressers.

Fühlt man sich jedoch erleichtert und erleuchtet, so handelt es sich um eine berechtigte Warnung, die einem hilft, den rechten Weg zu gehen.

Jesus wies die “Donnersöhne” Jakobus und Johannes scharf zurecht. Die Seelen der Menschen mit Drohungen zu richten und zu zerstören war nicht sein Anliegen, sondern sie zu erretten. Jesus ist ein Heiler und Retter, kein Despot und Erpresser.

Eine besonders schöne Fußnote stellt in diesem Zusammenhang die Tatsache dar, dass die entscheidenden Worte aus Lukas 9:56 in vielen Bibelversionen nicht zu finden sind.

Für mich zählen diese Worte aber zu den wichtigsten überhaupt. Denn es zeigt, neben der Aufforderung “Fürchtet euch nicht” und dem Höchsten Gebot, Gott und die anderen wie sich selbst zu lieben, in welchem Licht alles in der Bibel gelesen werden muss: Als Heilung, nicht als Strafandrohung.

Judenmission

Juli 3rd, 2017