Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.
Oktober 18th, 2010
Wer kennt es nicht, das oft wiederholte Wort des Märtyrertheologen Bonhoeffer:
Knut Dahl behauptet, dass Bonhoeffer nicht scherzte, als er sich das einfallen ließ. Und meint, diesen Spruch sinnvoll erklären zu können. Ich bin gespannt.
UPDATE
Knut zieht es vor, den Schwanz einzuziehen. Er begründet das, indem er sich mit Jesus und mich mit dem Teufel vergleicht. Warum bin ich nicht überrascht?
Oktober 18th, 2010 at 23:29
Dann wollen wir dem armen Pfaffen mal helfen! Wie wäre es hiermit?
++++ Gelöscht ++++
Komplettkopie dieses Artikels: http://www.ekd.de/vortraege/bonhoeffer.html
Oktober 19th, 2010 at 03:04
Sogar wenn Religion gesellschaftlich nie etwas Schlimmes bewirkt hätte, gäbe es immer noch diesen einen Grund, sie doof zu finden: Dass sie endlos scheinkomplexes Geschwafel zu ihrer eigenen Rechtfertigung produziert.
Oktober 19th, 2010 at 08:36
Stimmt, Muriel.
Oktober 19th, 2010 at 08:59
Anstelle von Knut versucht sich die COPfrin an einer Erklärung:
Oktober 19th, 2010 at 09:10
Christiane, wenn Du sagst, dass es Deinen “Gott” nicht gibt, wie es einen PC gibt. Dann kann ich dem voll und ganz zustimmen.
Ja, richtig. Dein Gott, ist ein intellektuelles Konstukt. Ein kollektives Phantasieprodukt. So wie Sherlock Holmes und Harry Potter.
Schön, dass wir uns so einig sind.
Das ändert natürlich nichts an der Unsinnigkeit des Bonhoefferschen Wortes. Denn Harry Potter, Sherlock Holmes und Gott gibt es ja – darüber sind wir uns sicher einig – in der Phantasie vieler, vieler Menschen.
Oktober 19th, 2010 at 09:40
Um Bonhoeffer zu verstehen ist weit mehr nötig als drei, vier tweets. Eigentlich braucht es einen soliden background an philosophischen Positionen, um das Zitat angemessen deuten zu können. Man kann den genannten Ausspruch jetzt entweder epistemologisch, fundamentalontologisch oder religionsphilosophisch deuten.
Die epistemologische Lesart wäre: Einen Gott, den “es gibt”, gibt es nicht, denn die menschliche Erkenntnis von Gott kann immer nur fragmentarisch und zeitlich sein. Insofern gibt es kein abgeschlossenes Gottesbild in unserer Welt, das wirklich Gott voll entsprechen würde.
Fundamentalontologisch könnte man einwenden, dass eben bestimmte Dinge nicht einfach “sind”, sondern ihren Existenz eigentlich erst im Werden verwirklichen. Auch der Mensch “ist” nicht einfach, sondern befindet sich stets im Prozess seines Lebensvollzugs und kann sich wesentlich erst in Reflexion auf sein eigenes Werden bestimmen. So ist es auch mit Gott. Nach jüd.-christlicher Überlieferung nennt sich Gott selbst “Ich bin, der ich bin” oder “Ich werde sein, der ich sein werde” oder “Ich bin, der ich sein werde” (je nach Übersetzung). Diese Mehrdeutigkeit ist auch im Hebräischen vorhanden und damit vermutlich beabsichtigt. Gott selbst nennt sich also nicht irgendwie (“Ich bin Gott ABC”) und “ist” damit Gott ABC, sondern benennt sich als Sein und Werden selbst. Insofern gibt es einen Gott, den es gibt (“es gibt den Gott ABC, …”), gerade nicht, sondern Gott selbst ist. Man kann das ganze jetzt im Rahmen von Blochs Noch-Nicht-Seins-Ontologie lesen, aber das führt hier zu weit. Allgemein zum Thema kann ich Quines Aufsatz “Was es gibt” empfehlen.
Religionsphilosophisch kann man noch mit Tillich und Buber an die Sache rangehen: Gott “ist” nicht einfach, sondern immer nur im Bezug zum Menschen (Buber würde sagen: Im Grundwort Ich-Du). (Das überschneidet sich mit der Epistemologie:) Das heißt, dass es Gott immer nur für einen bestimmten Menschen in bestimmter Art und Weise zu einer bestimmten Zeit “geben” kann, aber niemals von Außen-/Beobachterperspektive, die als dritte in diese Beziehung hineinschaut. Das liegt an Gottes Wesen “das, was uns unbedingt angeht” (Tillich) zu sein. Gott als Urgrund des Seins kann uns nur unbedingt betreffen, niemals mittelbar (vgl. dazu Hegel).
Alles in allem war Bonhoeffer ein zu schlauer Mensch, um halbgare philosophische Aussagen von sich zu geben. Insofern wäre ich immer vorsichtig damit, anderen Denkern vorschnell Dummheit zu unterstellen, ohne sicherzugehen, dass mir nicht das philosophische Grundwissen fehlt, um die Gedanken überhaupt ansatzweise begreifen zu können.
Oktober 19th, 2010 at 09:42
Ich ergänze mal spaßeshalber:
“Es ist ebenso Atheismus, die Existenz Gottes zu behaupten, wie auch, sie zu leugnen. Gott ist das Sein selbst.” (Paul Tillich)
Scheinkomplexes Geschwafel macht so viel Spaß!!
Oktober 19th, 2010 at 09:46
@helias Oh, Respekt und Danke für diesen Hintergrund. Wird gleich in mein digitales Archiv übernommen. Meinen letzten Kommentar hatte ich noch abgegeben, bevor das auf meinem Schirm erschienen war… aber es passt ja trotzdem 🙂
Oktober 19th, 2010 at 11:11
Hey, Alex, schön, dass Du mal wieder von Dir hören läßt! 😈
Erstmal zu Dir, dann ist helias dran:
Wenn “Gott” das “Sein” selbst ist, wozu dann der Begriff “Gott”?
Setzen wir Tillichs Quatsch mal um, steht da:
Es ist ebenso Atheismus die Existenz des Seins zu behaupten, wie auch sie zu leugnen. Das Sein ist das Sein selbst.
Haha! Kein vernünftiger Mensch leugnet das Sein. Deshalb sind Atheisten bekloppt. Toll.
Habt Ihr mal darüber nachgedacht, dass die beliebige Definition eines Begriffes, den Begriff zu einem leeren Begriff macht?
Wenn die Bibel mit “Gott” einen Himmelhitler bezeichnet, der wahllos große Massen von Tieren und Menschen vernichtet und bedingungslose Unterwerfung fordert, Du und Tillich mit “Gott” das “Sein selbst” bezeichnen, was spricht dagegen, das Frühstücksbrötchen, das ich gerade esse als “Gott” zu bezeichnen?
Aber Ihr werdet dafür bezahlt. Kriege ich jetzt auch fürs Frühstücken Geld?
So und jetzt zu Dir helias, danke, dass Du Dir so viel Mühe gegeben hast, aber ich fürchte, auch Du liegst voll daneben. Ich will das begründen:
1. Epistemologie:
Du schreibst:
Das ist natürlich Quatsch. Angela Merkel gibt es, auch wenn die Erkenntnis ihres Handelns nur fragmentarisch und zeitlich beschränkt ist. Licht gibt es, auch wenn es keine abgeschlossene Theorie über die Natur des Lichts gibt.
Wir bedürfen, weder einer “vollständigen” noch einer “abgeschlossenen” Definition einer Sache, um seine Existenz feststellen zu können.
Die Voraussetzung zur Feststellung der Existenz eines Gegenstands ist die bloße Existenz des Gegenstands selbst – und intersubjektive Teilung der Erfahrung des Verhaltens des Gegenstands.
2. Fundamentaltheologie:
Du schreibst:
Hat auch niemand behauptet, dass Dinge “einfach sind”.
Im Prinzip “ist” eigentlich gar nichts. Alles befindet sih im ständigen Fluss des Werdens und Vergehens – nach menschlichem Ermessen. Dass gilt für alles, was wir Menschen erleben. Aber wenn ich das mit dem Monotheismus richtig verstanden hatte, war “Gott” ewig. D.h. er/sie/es entstand nie und vergeht nicht. Das heißt wiederum es gibt kein Nichtgott und da das Sein das Nichtsein zur Voraussetzung hat, gibt es kein “Gott” q.e.d.
Du schreibst weiter:
Zunächst stellt sich hier die fundamentale Frage, wie Du ernstlich darauf kommst, dass das, was in der Bibel steht, sinnvoll und wahr ist. Hinterfragst Du das eigentlich manchmal?
Ich mein, glaubst Du wirklich, dass der Satz “Ich werde sein, der ich sein werde” wie der da so harmlos in der Bibel steht wörtlich zu nehmen ist? Dass da wirklich ein “Gott” mit Moses “gesprochen” hat?
Das nimmst Du doch nicht wirklich an, oder?
Und ist dieser “Gott”, der diesem Moses erzählt hat, dass er der ist, der sein wird, auch derselbe, der Moses gesagt, hat, dass man Homosexuelle und widerspenstige Söhne steinigen soll? Derselbe, der seine Hand ausstreckte über Edom und ausrottete von ihm Menschen und Vieh und es wüst machte von Theman bis gen Dedan und durchs Schwert fällte?
Aber selbst wenn wir diese Erwägungen beiseite lassen und uns darauf einigen, dass das mit dem Moses nur eine Geschichte ist – aber das das Wort “Gottes” wahrhaftig von ihm selbst durch irgendeinen Autor in die Bibel hineingeflossen ist – selbst dann, ist das ICH WERDE SEIN, DER ICH SEIN WERDE nix Dolles, sondern lediglich eine handelsübliche Tautologie.
Du schreibst dann:
Klar, das kann man machen. Aber warum?
Du sprichst einem intellektuellen Konstrukt, einer Idee Wandelbarkeit im Sinne eines Bestrebens zu ständiger Wandlung zu. Das ist so vernünftig wie banal.
Das Dumme ist nur, Du nimmst an, dass Dein “Gott” sich auch außerhalb Deines Kopfes “wandelt”. Voraussetzung dafür ist aber leider, dass er/sie/es erstmal IST!
Warum Du dann Quines Aufsatz “Was es gibt” empfiehlst, erschließt sich mir nicht. Der widerspricht doch in aller Klarheit Deiner These.
Denn Quine fordert ja gerade, dass mißverständlichen Eigennamen Eigenschaften zugesprochen werden sollen, mit denen dann eine sinnvolle Auseinandersetzung über deren “mögliche” Existenz geführt werden kann. Solange das mit Deinem “Gott” nicht geschehen ist, wird das wirklich schwierig.
Aber am Ende machst Du ja noch einmal religionsphilosophisch deutlich, was “Gott” eigentlich ist. Eine individuelle Phantasie, ein imaginärer Freund, der dem Gläubigen die Illusion gibt, in direktem Kontakt mit dem mächtigsten Wesen der Welt zu stehen und es durch Bitten auf seine Wünsche und Bedürfnisse aufmerksam machen zu können.
Oder kannst Du zeigen, dass “Gott” mehr als eine wohlfeile Illusion ist?
Oktober 19th, 2010 at 11:51
“Oder kannst Du zeigen, dass “Gott” mehr als eine wohlfeile Illusion ist?”
Das würde ich mir nicht anmaßen, da gab es schon größere Denker, die du wahrscheinlich selbst kennst und die dich offenbar nicht überzeugt haben. Außerdem ist es nicht mein Interesse zu zeigen, dass Gott keine Illusion ist. Mein Interesse ist, klar zu machen, dass man vernünftig an Gott glauben kann (nicht muss!), ohne gleich defizitär zu sein.
Ich religionsphilosophischen Teil habe ich eben gerade nicht Gott als Illusion gezeigt, sondern als Entität, die wesentlich erst in der Begegnung deutlich wird. Um das zu diskutieren müsste man Bubers dialogischen Ansatz kennen. Bitte lies nicht deine Denkvoraussetzungen (Gott ist eine Illusion) in meine Beiträge hinein.
Quines Aufsatz unterstützt meine These im Übrigen. Denn einen Gott den es gibt, gibt es Bonhoeffer zu Folge ja nicht. Das heißt mit Quine gelesen, dass es keinen Gott gibt, der über allgemeine Eigenschaften definiert und diskutiert werden kann, den es also nach Quine “gibt”.
Außerdem unterstellst du mir ziemlich plump dein Bild von einem Gläubigen, indem die Frage stellst, ob Mose wirklich vor einem brennenden Dornbusch gestanden hat oder nicht, anstatt das Thema sachlich fortzuführen. Richtig ist: Die Mose-Geschichte ist in sich so geschrieben, dass klar ist, dass es sich hier nicht um eine historische Tatsachenbeschreibung handeln kann (wie im größten Teil der Bibel). Insofern ist es überhaupt nicht die Frage, ob und wie da etwas historisch geschehen ist. Die Frage ist: Wie offenbart sich Gott durch diese Geschichte? Und er offenbart sich wie oben beschrieben.
Es entspricht lediglich deinem naturalistischen Weltbild, die hermeneutische Frage als eine szientistische zu verstehen.
Der Gottesname ist außerdem keine Tautologie, sondern ein mehrdeutiges Paradoxon, wie ich versucht habe zu skizzieren, da es eben nicht eindeutig “Ich werde sein, der ich sein werde” heißt, sondern dies nur eine mögliche(!) Übersetzung/Lesart ist.
“Im Prinzip “ist” eigentlich gar nichts. Alles befindet sih im ständigen Fluss des Werdens und Vergehens – nach menschlichem Ermessen. Dass gilt für alles, was wir Menschen erleben. Aber wenn ich das mit dem Monotheismus richtig verstanden hatte, war “Gott” ewig. D.h. er/es entstand nie und vergeht nicht. Das heißt wiederum es gibt kein Nichtgott und da das Sein das Nichtsein zur Voraussetzung hat, gibt es kein “Gott” q.e.d.”
Selbstverständlich gibt es “Nicht-Gott”. Gott ist nicht mit Immanenz in eins zu setzen, sondern immer auch transzendent. Insonfern gibt es Dinge, die aus Gott hervorgegangen sind, aber nicht im ihm gleich zu setzen sind. Außerdem ist die Behauptung, dass das Sein das Nicht-Sein zur Voraussetzung hat erstmal eine unbegründete Behauptung.
Angela Merkel und Licht sind empirische Phänomene, die auf der materiellen Ebene agieren. Insofern sind sie materiell zu begreifen. Gott vollzieht sich jedoch wesentlich auf anderen Seins-Ebenen, auf denen sich z.B. auch Beziehung und Bewusstsein bewegen. Das widerspricht deinem Weltbild und eifrige Hirnphysiologen und Endokrinologen versuchen o.g. Phänomene rein biologistisch zu erklären. Aber Erklärung ist nur die eine Seite der Medaille. Eine wichtige, ohne Zweifel, deshalb gibt es Naturwissenschaften. Aber das Verstehen, die Hermeneutik ist genauso wichig. Das wird heutzutage oft vergessen zu Gunsten eines einfachen, total logischen, eindimensionalen Weltbildes. Man kann Monist sein, aber man muss es eben nicht, genauso wenig wie man Theist sein muss, aber es durchaus vernünftig sein kann. Bitte nimm das hin.
Oktober 19th, 2010 at 15:05
Ach, helias, wer sagt denn, dass hier irgendwer „defizitär“ ist?
Du glaubst, dass Bonhoeffer etwas Sinnvolles schrieb, als er sein, inzwischen ja recht berühmtes Diktum formulierte. Das ist nicht schlimm. Wir alle irren zuweilen.
„Vernünftig“ an die Existenz einer Phantasie zu glauben, will Dir doch auch niemand nehmen. Ich teile das ja sogar mit Dir. Aber Du versteigst Dich dann leider doch dahin, zu behaupten, „Gott“ bezeichne eine Entität … und noch viel schlimmer … „die wesentlich erst in der Begegnung deutlich wird“.
Aber um ein wie auch immer geartetes „dialogisches Prinzip“ hier anwenden zu können, bedarf es aber eines „Du“, das nicht identisch mit dem „Ich“ ist.
Im Übrigen ist „Gott ist eine Illusion“ keine „Denkvoraussetzung“, sondern lediglich der Versuch, zu deuten, was Du mit dem Begriff „Gott“ bezeichnest. Und das hört sich bisher alles sehr nach Illusion an.
Wenn Du nun mit Bonhoeffer und Quine annimmst und behauptest, dass Dein „Gott“ ein „Mann ohne Eigenschaften“ ist, dann ist das – wie Dir sicher bewußt ist – bereits in sich widersprüchlich.
Wenn Dein „Gott“ nicht „über allgemeine Eigenschaften definiert“ und nicht über ihn „diskutiert werden kann“, warum diskutieren wir dann hier über „ihn“?
Warum verwendest Du überhaupt den Begriff „Gott“, der ja die Sache selbst offenbar gar nicht bezeichnen könnte? Und wie kannst Du davon ausgehen, dass es eine Sache ist und nicht lediglich ein „Gedankending“?
Ich unterstelle Dir übrigens keine blinde Schriftgläubigkeit. Deshalb habe ich ja auch gefragt, ob Du das ernsthaft glaubst. Was ich aber noch immer nicht verstehe, was sich da in dieser Geschichte „offenbart“.
Da steht, dass „Gott“ zu Moses gesagt haben soll, er sei der, der sein werde.
Das macht keinen Sinn. Wer ist dann Mose? Eine Romanfigur? Und was ist „Gott“ das zeigt, dass es Tautologien liebt?? Ich verstehe einfach den Weg dieser angeblichen „Offenbarung“ nicht.
Wie wäre es, wenn wir Ockhams Rasiermesser ansetzen würden und Bubers Bart abschneiden würden? Ich mein, die Teile der Bibel wurden von je einem Menschen ausgedacht und von tausenden reformuliert.
Ich wüßte gern – so wie die meisten Christen wahrscheinlich auch – wie diese „Offenbarung“ beim Bibeldiktat wirklich vor sich gegangen sein soll.
Ist es nicht vernünftiger, anzunehemen, dass die Bibel in etwa auf dieselbe Weise entstanden ist, wie z.B. das Buch Mormon?
http://de.wikipedia.org/wiki/Buch_Mormon
Ein geltungssüchtiger Arbeitsloser hat sich eine Geschichte ausgedacht, mit ollen Kamellen aus traditionellen Religionen angereichert und sie anschließend mit allerlei Hokuspokus aufgewertet?
Ein paar überzeugt, ein paar andere zu Tode erschreckt – und tadaa hier ist sie, die ganz neue Religion.
Hast Du das mal erwogen? Irgendwann?
Du schreibst, “Ich bin, der ich bin” oder “Ich werde sein, der ich sein werde” oder “Ich bin, der ich sein werde” (je nach Übersetzung) sei ein „mehrdeutiges Paradoxon“.
Und Du behauptest, dass das einerseits mit dem beständigen Werden in Sinne von Blochs Noch-Nicht-Seins-Ontologie und andererseits mit Bubers dialogischem Prinzip zu erklären und begründen sei.
Ich finde dieses nicht weitergedachte Wiedergeben vorgekauten Wissens aus dem theologischen Seminar ehrlich gesagt ziemlich armselig. Ich mein, hast Du Dir eigentlich mal selbst über diese Fragen Gedanken gemacht? Bedarfst Du Bubers oder Blochs Meinung zum Thema?
Was hast DU denn Sinnvolles beizutragen? Bisher lese ich lediglich Referenzen und Hin- und Herverweise auf anderen Autoren.
Das macht Sinn, wenn man sich im Rahmen einer theologischen Diskussion gegenseitig seiner Bibelfestigkeit und Belesenheit versichern will.
Aber was ist, wenn Du eine RICHTIGE Frage beantworten musst? Was, wenn Du die eingelaufenen Bahnen Deines schematischen Denkens verlassen musst?
Du schreibst, „Gott“ sei nicht mit „Immanenz“ in eins zu setzen, sondern dieser auch transzendent.
Wie kommst Du darauf? Wie kannst Du so etwas behaupten? Mit welcher Rechtfertigung?
Du wirfst mir unbegründete Behauptungen vor und machst noch ungeheuerlichere?
Woher willst Du wissen, dass „Dinge aus „Gott“ hervorgegangen sind, die nicht mit „ihm“ gleichzusetzen sind?
Wie begründest Du das? Gibt es dafür irgendwelche Belege?
Du kommst am Ende aber zur eigentlichen Botschaft Deines Kommentars. Deiner Meinung nach, ist „Gott“ kein reales, empirisches Phänomen, sondern ein Phänomen „auf anderen Seins-Ebenen“.
Du verwendest dann die Begriffe „Bewußtsein“ und „Beziehung“.
Ich sehe nicht, dass ein Bewußtsein und Beziehungen keine empirischen Phänomene wären.
Selbstverständlich gibt es die individuell-subjektive Ebene des Verstehens und Bewertens der Welt – neben einer naturwissenschaftlichen Erschließ- und Prüfbarkeit. Das bestreitet doch auch keiner. Und ich habe auch nie bestritten, dass auf dieser subjektiven Ebene ein „Gott“ ebenso sehr existiert wie Sherlock Holmes oder Harry Potter. Als ein Produkt kollektiver Phantasie.
Du behauptest aber, dass Deinem „Gott“ noch eine weitere Seins-Ebene zukäme – neben der empirischen und der phantastischen.
Diese Ebene würde ich gerne kennenlernen.
Allein, ich fürchte, es gibt sie nicht.
Oktober 19th, 2010 at 17:21
Also: Ich verstehe Gott nicht als “Mann ohne Eigenschaften”, sondern als “Entität ohne vom menschlichen Verstand vollständig erkennbaren allgemeingültigen Eigenschaften”. Alle Rede von Gott ist somit fragmentarisch und zeitlich und Diskussionen bzgl. Gottes Existenz werden (wie grade eindrücklich bewiesen wird) früher oder später ins Leere laufen. Man kann nun entweder die Existenz Gottes annehmen oder nicht und von je dieser Voraussetzung her versuchen, die Welt zu deuten. Beides hat sein Anrecht und seinen Platz und kann auch voneinander lernen, aber die eigentlich zu Grunde liegende Frage (Gibt es Gott?) kann dabei nicht geklärt werden.
Die Frage nach Gottes Offenbarung in der Schrift ist nocheinmal ein eigenes Thema. Für mich ist es weniger die Frage was/wie Gott sich den vermutlichen Schreibern der Bibel offenbart hat, als vielmehr, wie Gott sich selbst heute in dem Überlieferten für den Leser offenbart. Aber ich will dich nicht mit Derrida langweilen.
Kommen wir lieber zum Vorwurf, ich hätte keine eigenen Gedanken: Ich gehe immer davon aus, dass es im Zweifel schon schlauere Menschen als mich gab, die sich mit den Themen, die auch mich beschäftigen, auseinandergesetzt haben. Bevor ich versuche, irgendwelche halbgaren Hirngespinste als durchdachte Philosophie zu verkaufen, versuche ich ersteinmal, die Menschen zu verstehen, die sich bereits intensiv dazu Gedanken gemacht haben und versuche dann, diese Gedanken auf meine Situation und meine Fragen zu beziehen. Bei der Antwort mache ich dann deutlich, von wem ich welchen Gedanken habe. Das ist im Übrigen die geisteswissenschaftliche Methode, Themen zu bearbeiten: Hintergrundwissen, Referenzen und daraus entwickelt dann zu neuen Gedanken kommen.
Weder Bloch noch Buber haben ihre Gedanken dazu formuliert, wie Gottes Sein zu verstehen ist. Ich habe die Gedanken aber gelesen und deute sie als auch hilfreich bei der Bearbeitung der Gottesfrage. Wenn du das nicht als meine Antwort sehen willst, lass es bleiben. Ich dachte allerdings, du bist an einer Debatte interessiert, die ein wenig tiefer geht, als die flachen Zirkelschlüsse populär-wissenschaftlicher Philosophie.
Im Übrigen befinden wir uns in einer theologischen Diskussion, so oder so. Und dabei ist das einzige eingefahrene Schema, das ich immer wieder höre: “Gott ist eine Illusion/menschliches Konstrukt. Wer das nicht erkennt, hat sich nicht genug Gedanken gemacht.”
Anstatt die Frage nach Gottes Transzendenz zu beantworten, folge ich mal deiner Methode und frage zurück: Wie kommst du darauf, dass Bewusstsein und Beziehung empirisch zu erklären sind? Was ist denn Bewusstsein und Beziehung? Ein hirnphysiologischer Mechanismus? Eine soziologische Beschreibung oder eine hormonelle Fehlfunktion? Was ist Beziehung und Bewusstsein eigentlich und wie kann man es naturwissenschaftlich beschreiben, wenn es doch empirisch erklärbar ist?
Wie schon oben beschrieben, führt diese Diskussion ins Leere, weil wir entweder davon ausgehen, dass Gott existiert oder nicht. Davon ausgehend argumentieren wir, aber ohne hinter diese Grundsetzung zurückgehen zu können.
Der Grundunterschied ist Glaube. Glaube meint nicht Für-Wahr-Halten des Unvernünftigen, sondern Sich-Verlassen-Auf. Ich fürchte, ein Verständnis davon kann sich nicht per Internet-Diskussion entwickeln.
Oktober 19th, 2010 at 17:42
Selbst ein wohlmeinender helias kommt zu dem Ergebnis:
“ Wie schon oben beschrieben, führt diese Diskussion ins Leere, weil wir entweder davon ausgehen, dass Gott existiert oder nicht. Davon ausgehend argumentieren wir, aber ohne hinter diese Grundsetzung zurückgehen zu können.”
Q.e.d.
Das kann man sogar wieder twittern (2 tweets)!
Oktober 19th, 2010 at 19:37
“Der Grundunterschied ist Glaube. Glaube meint nicht Für-Wahr-Halten des Unvernünftigen, sondern Sich-Verlassen-Auf”
Der Satz ist leider nicht vollständig. Glaube meint Sich-Verlassen-Auf was?
Das Unvernünftige?
Und das soll vernünftig sein?
Oktober 19th, 2010 at 20:14
Hallo Knut, schön, dass Du doch noch vorbei kommst! 😎
Mach’s Dir gemütlich, nimm Dir ‘n Keks!
Ihr beiden, helias und Knut habt leider nicht ganz verstanden, worum es geht.
Es geht nicht darum, dass wir mit jeweils kontradiktorischen Glaubensinhalten in die Diskussion gehen.
Ich gehe nicht pauschal davon aus, dass ein “Gott” exisitert oder nicht. Der Begriff “Gott” wird heute für die Bezeichnung von so vielen Dingen herangezogen, dass es absurd wäre, zu sagen, “Gott” existiere nicht.
Seht mal, Ihr beiden. Ihr seid nicht in der Lage, sinnvoll zu klären, WAS eigentlich mit diesem Begriff bezeichnet werden soll, das außerhalb des menschlichen Verstandes liegt.
Wir sind uns doch erstmal einig, dass der Begriff “Gott” eine oder mehrere Ideen bezeichnet.
Ihr behauptet aber, dass damit sogar noch mehr bezeichnet wird. Und ich wüßte nun gern WAS das sein soll. Ehe Ihr mir das nicht erklärt habt, kann ich doch nicht behaupten, dass das, was Ihr da im Sinn habt, existiert oder nicht existiert.
Ich weiß einfach nicht, wovon Ihr sprecht. Das was Ihr bisher gesagt habt (“Entität ohne vom menschlichen Verstand vollständig erkennbaren allgemeingültigen Eigenschaften”) macht keinen Sinn.
Wenn die Eigenschaften der “Entität” nur teilweise erkennbar sind, dann wüßte ich gern welche das sind. Was sind die erkennbaren Eigenschaften Eures “Gottes”???
Wenn jedoch KEINE der Eigenschaften Eures “Gottes” erkennbar sind, wovon sprecht Ihr dann eigentlich?
Ich kann natürlich davon ausgehen, dass “Gott” nicht existiert, wenn ich mein heutiges Frühstücksbrötchen damit bezeichne. Aber was bezeichnet Ihr mit diesem Begriff?
helias, Du schreibst “die eigentlich zu Grunde liegende Frage (Gibt es Gott?) kann dabei nicht geklärt werden.”
Ich denke, mit dieser Frage wird bereits vorausgesetzt, dass wir uns über den Gegenstand einig sind, der mit diesem Wort bezeichnet werden soll. Aber das sind wir nicht.
Die eigentliche Frage lautet:
Was bezeichnet das Wort “Gott”?
Wenn diese Frage beantwortet ist, muss die Existenzfrage nicht mehr beantwortet werden. Denn eigentliche Frage beantwortet die Existenzfrage mit.
Seit Kant wissen wir, dass “Existenz” keine Eigenschaft von Objekten ist, die man durch logische Schlüsse oder metaphysische Spekulationen oder gar Induktionen ermitteln könnte.
Existenz ist ein Erfahrungsphänomen. Und zwar ein intersubjektiv geteiltes. Wir können sagen, dass ein Objekt X existiert, wenn es sich uns – also allen Menschen – prinzipiell ereignen kann.
Und noch besser ist die Vohersage und Bestätigung dieses Ereignisses.
So kann ich z.B. sagen, wenn ich in Berlin Unter den Linden entlanggehe, stoße ich auf das Brandenburger Tor. Und wenn ich die Augen schließe und wieder öffne steht es immer noch da.
Die Welt um uns herum ist also ein permanentes Ereignis – auch wenn alles still zu stehen scheint.
Insofern gehe ich da ganz mit Bloch mit. 🙂
Mit Eurem “Gott” ist das nun ein wenig ungünstig. Denn weder gibt es einen klaren Erfahrungshorizont. Jeder meint mit dem Wort “Gott” etwas anderes. Und zweitens können keine Vorhersagen geprüft werden. Es handelt sich also um nichts anderes als ein Gedankending. Und zwar eines, das immer dann in seinen anthropomorphen Mantel steigt, wenn wir vor einer scheinbar unkontrollierbaren, beängstigenden Situation stehen.
Du schreibst, es sei interessant, wie “Gott” sich in dem Überlieferten für den Leser offenbart.
Die Voraussetzung zum Verständnis dieser Aussage ist, was “Gott” sein soll. Wenn Du mit “Gott” individuelle mentale Zustände Angehöriger frühneuzeitlicher Hirtenkulturen meinst. Dann kann das sicher sein, dass sich in den Schriften das eine oder andere offenbart. Aber wenn du damit eine “allmächtige Person” meinst, dann ist so etwas prinzipiell unmöglich.
Im Übrigen würde ich mich durch Derrida nicht gelangweilt fühlen. Aber ich lese lieber, was Du in eigenen Worten dazu schreiben kannst.
Dass Bloch und Buber keine Gedanken zum Sein eines “Gottes” formuliert hätten, ist natürlich Quatsch. Selbstverständlich haben sich beide zur Gottesfrage, die auch immer die Existenzfrage ist, geäußert. Insofern verstehe ich nicht recht, was Du damit meinst, wenn Du schreibst, sie hätten sie dazu nicht geäußert.
Du stellst mir dann verschiedene Fragen.
Wie kommst du darauf, dass Bewusstsein und Beziehung empirisch zu erklären sind?
Menschliche Beziehungen sind sichtbar. Und sind sogar prüfbar und vorhersagbar. D.h. es gibt inzwischen recht zuverlässige psychologische Erkenntnisse über die Entstehung romantischer und sonstiger Beziehungen.
Bewußtsein ist ebenfalls ein recht stark beforschtes Phänomen – auch wenn da die Erkenntnisse bei Weitem noch nicht so weit gediehen sind wie bei Beziehungen. Bewußtseinsphänomene lassen sich jedenfalls ebenfalls vorhersagen und sogar manipulieren. Ich erinnere nur an die Induktion religiöser Präsenzerfahrungen durch elektrische Stimulation der Schläfenlappenregion.
Was ist denn Bewusstsein und Beziehung?
Gute Frage. Man kann diese aus einer subjektiven und einer objektiven Perspektive beantworten. Die subjektive wollten wir ja nicht – also die objektive.
Bewußtsein ist eine Art des Erlebens, die durch die Merkmale Wahrnehmung, Selbstbewusstsein, Wachheit, Handlungsfähigkeit und Intentionalität bestimmt ist.
Eine Soziale Beziehung haben zwei Individuen oder Gruppen dann, wenn ihr Denken, Handeln oder Fühlen gegenseitig aufeinander bezogen ist.
Du schreibst zum Schluss, dass die Diskussion ins Leere führe, weil wir angeblich gewisse unprüfbare Prämissen voraussetzen.
Das gilt aber leider nur für Dich. Du setzt voraus, dass es einen “Gott” gibt. Ich setze zunächst gar nichts voraus und hinterfrage Deine Position lediglich, da sich ihr Sinn für mich nicht erschließt.
Insofern bist Du derjenige, der zeigen muss, warum er diese unbegründete Setzung macht.
Du machst diese Setzung offenbar, weil Du sie brauchst. Es ist eine Folge Deiner fundamentalen Existenzangst. Denn Du schreibst, Glaube meint nicht Für-Wahr-Halten des Unvernünftigen, sondern Sich-Verlassen-Auf.
Du suchst etwas, worauf Du Dich verlassen kannst, dem Du vertrauen, das Du als Leitmotiv in unsicherer und beängstigender Lage nutzen kannst. Du hängst Dein Herz an eine Illusion. Klammerst Dich an ein Konstrukt, weil es Heil verspricht – ohne diese jedoch jemals wirklich zu geben.
Das Heil und das “Sich-Verlassen-Auf” liegt nicht in einer Idee, einer Phantasie, einer Illusion.
Es liegt in Dir und den anderen Menschen und den Dingen.
Es liegt in Deiner fortwährenden Bemühung um ethisch-moralische Vervollkommnung, um Liebe und Vergebung, um Überwindung von Mißgunst, Stolz und Hass. In der Erduldung von Trauer und Einsamkeit.
Das Heil liegt im Wissen um die Möglichkeit zur inneren Ruhe und Seligkeit. Darauf kannst Du Dich verlassen. Daran kannst Du glauben … und nicht an einen totalitären Personenkult.
Oktober 19th, 2010 at 23:04
Danke! Danke deiner messerscharfen Analyse habe ich endlich die Misere meines kleinkarierten Theistenlebens erkannt und kann mich zum heilbringenden atheistischen Humanismus bekennen.
Und endlich kenne ich den wahren Weg zum Heil! Innere Ruhe und Seligkeit. Das ich da nicht selbst drauf gekommen bin! Dabei haben mir es doch sämtliche Esoterik-Wohlfühl-Lifestyle-Berater prophezeit und ich wollte es einfach nicht glauben!
Und ansonsten? Eine Prise Gutmenschen-Ethik (aus welchem Grund auch immer, aber das verstehe ich bestimmt noch) und natürlich Liebe, Gerechtigkeit und keine schlechte Eigenschaften. Und das Schlechte wird eben einfach stoisch ertragen, sofern man nix dagegen tun kann. Aber wenigstens muss ich jetzt nicht mehr so tun, als kümmere sich meine Gedankenkonstrukt um meine Belange.
–
Jetzt mal im Ernst: Wen willst du hier missionieren? Und vor allen Dingen warum? Mit so einer Energie?
Ich meine, ich nehme es dir nicht übel, jeder ist froh, wenn andere seiner/ihrer Glaubensüberzeugung beipflichten. Aber so offen hat mir noch kein neuer Atheist sein Missionsbestreben offenbart.
Naja, ich lehne dankend ab und stelle noch einige Dinge klar, die du mir in deinem letzten Post unterstellst, bevor ich mich aus der Diskussion verabschiede, da es dir offenbar nicht um die Sache selbst geht, sondern darum, andere zu überzeugen.
Ich habe nie behauptet, Bloch und Buber hätten keine Gedanken zur Gottesfrage gehabt. Selbstverständlich haben sie. Nur die von mir beschriebenen Gedankengänge sind ursprünglich als Seinsanalyse gedacht und nicht als Theologie. Ich die oben beschriebenen Phänomene in meine Argumentation eingebaut und sie theologisch gelesen. Und das war mein eigener Gedanke, denn im philosophischen Seminar lernt man nicht, die Philosophen theologisch zu lesen. Mein Konzept von Gottes Offenbarung in der Bibel hat viel mit Luther, Barth, Bultmann und Derrida zu tun, aber ich sehe keine Veranlassung, das näher zu erläutern, da es in deinem Wirklichkeitsverständnis keinen Platz haben würde. Außerdem wären es ja nicht meine eigenen Worte, sondern nur meine Deutung und Konstruktion von großen Gedanken anderer, also für dich nur “ziemlich armselig”.
Ich behaupte weiterhin, dass die Frage “Was ist Gott eigentlich genau?” zwangsläufig in Aporien führt, weil sie davon ausgeht, dass man sie objektiv-empirisch beantworten kann, um anschließend die Existenz-Frage zu stellen. Das umgekehrte ist der Fall, aber das habe ich oben schon beschrieben und werde mich jetzt nicht wiederholen.
Normalerweise halte ich Persönliches aus Prinzip aus solchen Diskussionen heraus, aber hier sehe ich mich doch genötigt, mich zu äußern: Selbstverständlich habe ich Existenzängste. Die hat jede/r von uns. Ich habe in Gott die Möglichkeit damit umzugehen, ohne sie zu ignorieren, ohne aber andererseits zu tief darin zu versinken. Angst ist immer da, sie muss es, denn ohne Angst gibt es keine Freiheit. Nur in der Angst kann sich qualitativ-existentiell etwas verändern, nur durch Angst haben wir überhaupt die Möglichkeit eine Wahl für oder gegen etwas zu treffen.
Angst und Zweifel gibt es immer, natürlich auch an Gott, aber bis jetzt haben sie sich immer als grundlos erwiesen. Außerdem ist der Glaube nicht nur in der Angst. In der Angst ist Glaube zwar für mich wichtig, aber ebenso in “guten Zeiten”: Beim Gottesdienst, in der Gruppenstunde, auf Freizeiten etc. Wie sieht es bei dir aus? Hast du manchmal Zweifel an deinem Glauben an die Nicht-Existenz Gottes? Denkst du, mit atheistischem Humanismus wäre alles besser? Ich hoffe schon, denn ansonsten läuft man Gefahr, das eigene Denksystem zu verabsolutieren und zum Radikalen zu werden. Und da ist es dann egal, ob man Islamist, christlicher Fundamentalist oder radikaler Atheist ist, das System ist das gleiche.
Nun denn, ich hatte gehofft die Diskussion würde so spannend und ertragreich wie die Auseinandersetzung mit Feuerbach und Nietzsche. Ich habe mich wohl getäuscht. Ich hoffe für dich, dass deine Weltanschauung sich für dich als tragfähig erweist und dass du nicht in eine Krise kommst, in der sich innere Ruhe und Seligkeit nicht mehr aufrechterhalten lassen. So fundamental auf die Nichtigkeit der eigenen Existenzgrundlage zurückzufallen halten wohl nur wenige wie Nietzsche aus, ich würde es auf jedenfall keinem wünschen.
In diesem Sinne schließe ich mit Erich Fried:
“[…] und bewahre mich vor vollkommenen Lehrern und vollkommenen Lehren, die alles erklären können,
bewahre mich vor der Erleuchtung, die die große Gewissheit verleiht, denn sie macht die von ihr Erhellten zu Dunkelmännern […]”
Oktober 19th, 2010 at 23:08
“Das Heil liegt im Wissen um die Möglichkeit zur inneren Ruhe und Seligkeit. Darauf kannst Du Dich verlassen. Daran kannst Du glauben … und nicht an einen totalitären Personenkult.”
Find ich gut!
Da ist viel interessantes dabei und auch manches was mir krude erscheint. Weiterkommen ist nur in Face to Face Kommunikation möglich. Hier stößt das Netz an seine Grenzen und auch meine Tippbereitschaft ist kleiner als mein Gedanken dazu.
Oktober 20th, 2010 at 01:40
Ich weiß gerade nicht mehr, wer es gesagt hat, aber es ist so schön kurz und scheint mir (trotzdem) irgendwie hierher zu passen: Realität ist das, was nicht verschwindet, wenn man aufhört, daran zu glauben.
Oktober 20th, 2010 at 18:18
Und aus aktuellem Anlass vielleicht noch zu Lukas 4,13: Wenn man bedenkt, dass Jesus Teil der Dreifaltikeit ist, handelt es sich da möglicherweise um die dümmste Versuchung, seit es Dämonen gibt.
Der biblische Teufel scheint über die Intelligenz eines gebrauchten Teebeutels zu verfügen, und kommt auch ungefähr so bedrohlich rüber…
Oktober 20th, 2010 at 20:53
Helias, Du schreibst:
Was soll denn das sein „atheistischer Humanismus“? Ich kann mit diesem Begriff ehrlich gesagt überhaupt nichts anfangen. Falls Du glaubst, dass ich mich damit identifiziere, irrst Du.
Du schreibst weiter:
Wenn Du sowas öfter liest, könnte es sein, dass man ein bißchen dumm wird. Das vergeht aber wieder.
Du schreibst weiter:
Du willst verstehen, wie Ethik entsteht und welche Begründung es für verschiedene Ethiken gibt?
Hier ist ein schöner Einstieg:
http://de.wikipedia.org/wiki/Ethik
Ansonsten empfehle ich die einschlägige psychologische Fachliteratur zum Thema:
http://en.wikipedia.org/wiki/Moral_psychology
Ethik hat ihre Ursache in unserer Phylogenese und selbstverständlich auch in den variantenreichen Einflüssen im Laufe der Ontogenese.
Religionen sind nicht die Ursache, sondern lediglich Spiegel des ähnlichen ethisch-moralischen Empfindens von Individuen mancher größerer Gruppierungen.
Wie Ethik letztendlich funktioniert, ist noch recht unklar. Sich zu bestimmten ethischen Grundsätzen zu bekennen kann man aber ohne gewisse angeblich „übernatürliche“ Gedankenkonstrukte.
Du schreibst weiter:
Ich will gar niemanden missionieren. Wozu denn?
Welchen Sinn sollte denn meine Mission haben?
Noch ein Atheist? Was sollte das bringen? Nein, missionieren will ich Dich nicht. Wär ja auch Quatsch. Das hast Du bereits selbst ganz gut erkannt.
Warum ich hier mit Dir diskutiere?
Weil ich wissen will, warum ein vernünftiger, intelligenter Mensch die zweitausendjährige Geschichte der Verfolgung und Vernichtung Andersdenkender zu rechtfertigen bereit ist. Wie man monotheistisch bedingten Terrorismus und Bürgerkrieg (heute z.B. 11. September, Irak, Afghanistan, Israel, Nordirland, Kosovo, Tschetschenien, Sri Lanka, Pakistan, Nigeria, Saudi-Arabien, Jemen; früher z.B. : Hugenottenkrieg, Achtzigjähriger Krieg, Englischer Bürgerkrieg, Dreißigjähriger Krieg usw.), Inquisition; Hexenverfolgung; Judenpogrome; Massenvernichtung von Ureinwohnern; Kreuzzüge; Sekten; Gehirnwäsche; Frauendiskriminierung; Mißbrauch von Abhängigen; Exorzismus; Ermordung von Abtreibungsärzten; gewaltsame Missionierung; Quacksalberei; Diskriminierung Anders- oder Nichtgläubiger; Einschränkung von Meinungs-, Rede- und Pressefreiheit; Antiwissenschaftlichkeit; Psychische Störungen durch Glaube an angeborene Sünden, Hölle und ewige Verdammnis, Engel und Geister; Gesundheitsschäden durch Mangelernährung, religiös bedingte Diäten, Verweigerung medizinischer Betreuung, Selbstverstümmelung und angebliche Geist- oder Wunderheilung; Schwulenhass, Steinigung; Beschneidung der Geschlechtsteile männlicher und weiblicher Kinder; Massenselbstmorde; Giftgasattentate; Staatliche Indoktrination; Feudalismus, Bestrafung von “Gotteslästerung”, “Sakrilegen” und “Blasphemie” und die massive Einflussnahme religiöser Fundamentalisten in Staat und Gesellschaft, wie man all dies sehen kann und nicht begreifen, dass diese Dinge mit einem „Gott“ gerechtfertigt werden, zu dem man angeblich in direkter Verbindung steht.
Das ist mein Motiv.
Du schreibst weiter:
Wie bereits oben beschrieben. Ich will verstehen. Ich will, dass DU MICH überzeugst, dass man all die oben genannten Dinge in Kauf nehmen muss. All die Spinner, die Kranken, die herrschsüchtigen und terroristischen. Warum ich diese „Ausnahmen“, die jährlich hundertausenden von Menschen das Leben kosten, und Millionen die körperliche und geistige Gesundheit, hinnehmen, erdulden muss.
Sollte es tatsächlich einen „Gott“ geben, der all diese Dinge verursacht?
Oder werden die Hunderttausenden von Toten, die jährlich durch Naturkatastrophen um Leben, Gesundheit oder Hab und Gut gebracht werden, etwa durch den Teufel verführt?
Sicher wirst Du ein paar gute Antworten auf die gute alte Theodizee parat haben.
Du schreibst weiter:
Nun ja, wie Du darauf kommst, dass ich hier missionieren will, kann ich nur raten. Ich vermute, es liegt daran, dass ich Dir geraten habe, ethisch-moralische Vervollkommnung zu suchen und Trauer und Einsamkeit zu erdulden.
Was daran missionarisch ist, verstehe ich nicht.
Sollte ich bei meinen Tips irren, lasse ich mich gern eines Besseren belehren. Ist die ethisch-moralische Vervollkommnung nicht anstrebenswert? Muss man Trauer und Einsamkeit … und übrigens auch Angst nicht erdulden? Liegt die Seligkeit nicht in innerer Seelenruhe?
Du schreibst weiter:
Wie wäre es, wenn Du Dich dazu äußern würdest, was DU denkst und auf das Zitat anderer einfach verzichtest? In vielen Fällen dient das Zitat in solcherlei Diskussionen als Autoritätsargument ohne sachlichen Bezug und ohne zur Klärung des Sachverhalts substantiell beizutragen. So ging mir das auch mit Deinen Zitaten. Ich habe nicht gesehen, wie sie das Problem – was „Gott“ sein soll – irgendwie geklärt hätten.
Und Du hast selbstverständlich Recht, wenn Du schreibst:
Selbstvertändlich sind die Antworten auf diese Frage in vielen Fällen Aporien. Aber man muss die Frage gar nicht so spezifisch formulieren. Das habe ich oben schon ausgeführt. Es geht nicht darum den Begriff hunderprozentig genau zu definieren. Es würde reichen, eine vage Beschreibung zu haben. Mindestens eine sinnvolle Eigenschaft. Aber Du hast nicht mal das.
Du schreibst weiter:
Ich finde es mutig, dass Du Dich hier so offen äußerst. Und ich will Dir bekennen, mir geht es selbstverständlich genauso wie Dir. Ich habe Zweifel und Ängste, Existenzsorgen und die Angst zu tief in der Angst zu versinken.
Aber ich habe – vermutlich wie Du – Familie und Freunde. Ich habe sinnvolle Tätigkeiten und Ziele und Zeit zur Muße und Versenkung. Zum Nachdenken, zur Meditation und Kontemplation.
Über eines muss ich Dich aber enttäuschen. Ich habe keinen „Glauben an die Nicht-Existenz Gottes“ und deshalb natürlich auch keinen Zweifel daran.
Da der Begriff „Gott“ entweder mit unlogischen und selbstwidersprüchlichen oder sogar empirisch widerlegten Attributen ausgestattet wird oder gänzlich absurde und unendlich variable Definitionskriterien aufweist, bin ich dazu übergegangen, zunächst in Erfahrung zu bringen, was mein jeweiliger Gesprächspartner mit dem Begriffe „Gott“ bezeichnen möchte (sehr oft höre ich Liebe, Universum, Alles) um dann die jeweilige Sache zu untersuchen.
Du aber verweigerst Dich bereits von Anfang an jeder Nennung auch nur eines sinnvollen Attributs. (Das „Ich bin, der ich bin“ erlaube ich mir mal, für nicht sinnvoll zu erklären.) Und das ist klug. Denn Du weißt, dass ich Dir jede Definition – je konkreter sie wird – komplett dekonstruieren würde – es sei denn, es handelt sich um Platitüden a la Gott = Jimi Hendrix
Das aber hat seine Ursache nicht darin, dass Dein „Gott“ Eigenschaften hätte, die für uns nicht erfassbar sind. Denn eine solche Behauptung ist Unfug.
Entweder ist etwas für uns erfassbar – dann können wir damit auch argumentieren – oder es ist nicht erfassbar. Dann gibt es das auch nicht.
Im Übrigen gibt es im Bereich des nicht Erfassbaren keine Quantifizierungen und Kategorisierungen. Es gibt nicht „mehrere nicht erfassbare Eigenschaften“. Für uns Menschen gibt es schlechterdings nur das Erfassbare. Was hinter der Grenze des Erfassbaren liegt, ist nicht sinnvoll benennbar.
Du fragst mich:
Wenn Du mir sagst, was das sein soll .o)
Nein, im Ernst, ich glaube nicht, dass DER „Humanismus“ die Übel der Welt beenden wird. Ich denke, die Übel der Welt wird man nicht beenden können, aber mit Frieden, Liebe und ganz viel Geduld und Gelassenheit kann man hervorragend damit umgehen.
Du schreibst weiter:
Mit „radikaler Atheist“ meinst Du sicher „readikale ANTItheisten“. Säuglinge und Kleinkinder sind ja bekanntermaßen die radikalsten Atheisten. Verweigern sich standhaft jedem religiösen Dogma :o)
Aber es freut und ehrt mich, dass Du angenommen hast, dass eine Diskussion mit mir so ertragreich sein könnte, wie die Lektüre von Nietzsche und Feuerbach. Aber ich fürchte, ich muss Dich enttäuschen. Wenn Du Dich daruf einlassen würdest, würde sie sogar NOCH ertragreicher. Denn Antworten auf Feuerbach und Nietzsche gibt es schon zuhauf und werden im theologischen Seminar entsprechend gelehrt.
Du schreibst weiter:
Wie kannst Du ernsthaft davon ausgehen, dass meine Existenzgrundlage „nichtig“ sei oder werden könnte? Meine bloße Existenz ist eins der wertvollsten Dinge, die es für mich gibt – so wie die Existenz meiner Lieben. Und auch Deine Existenz ist mir wichtig. Wie sollte das „nichtig“ sein?
Wie absurd.
Du schließt mit Frieds Gebet. Und zitierst den Gewissheits-Teil. Glaubst Du, ich hätte Gewissheit? Würde ich dann hier mit Dir diskutieren? Ich diskutiere, weil ich irren kann. Das heißt nicht, dass ich keine Gewissheiten hätte – aber die große Gewißheit, die Du besitzt, nämlich den unerschütterlichen Glauben, dass es ein gasförmiges Wirbeltier namens „Gott“ gibt, der geht mir ab.
Oktober 20th, 2010 at 22:48
Wenn du etwas zu den Verbrechen von Leuten hören willst, die sich selbst und ihre die ihre Zeitgenossen vermutlich als Christen bezeichnet hätten, dann lies Karlheinz Deschner, der kennt sich da aus. Ich bin weder homophob, noch gewalttätig, noch sind es die Leute aus meiner (evangelischen Landes-)Kirche, mit denen ich zu tun habe oder von denen ich weiß. Ich würde behaupten, wer sich Christ nennt und keine Nächstenliebe praktiziert, sollte sich mal wieder seine eigene Sündigkeit bewusst machen. Und wer sogar Verbrechen im Namen des Glaubens/Gottes begeht, dem würde ich sein Christsein absprechen, zumindest so wie ich es verstehe. Falls du wirklich vorhast mich zu verstehen, dann hör bitte auf, mich mit platten Vorurteilen und Klischees zuzutexten. Bei Verbrechen gibt es nix zu verstehen. Die genannten Dinge sind passiert und sie sind schrecklich, doch was haben fehlgeleitete Irre, seien es religiöse Fanatiker oder politische Herrscher, die Religion instrumentalisieren, mit meinem Glauben zu tun? Nur weil sie sagen: “Ich tue das im Namen Gottes?” Nein, das ist Unsinn, das gebietet schon die Logik. In der DDR wurde auch alles nur fürs Volk gemacht. Ist es deshalb jetzt schlecht, Volk zu sein, nur weil im Namen des Volkes Verbrechen begangen wurden? Oder muss ich mich schuldig fühlen, weil ich in einem Land geboren wurde, das vor 70-80 Jahren die Welt unsäglich terrorisiert hat? Ist Deuschland heute schlecht, weil Hitler damals Verbrechen im Namen Deutschlands und mit Unterstüztung oder zumindest Duldung der damaligen Bevölkerung begangen hat? Nein. Und so ist es auch mit meinem Glauben. Das einzige, was ich tue, ist mich schämen und wütend werden über alle, die “den Namen des Herrn unnütz führen”.
Oben ging es für mich übrigens nicht um die Frage wer/was/ob Gott ist, sondern was Bonhoeffer mit seinem Zitat gemeint haben könnte. Nicht mehr und nicht weniger.
Zu Nietzsche: Deshalb sagte ich ja: Ich wünsche dir keine Krise, in der deine Existenzgrundlage in Nichtigkeit zerfällt. Weil es eine schreckliche Situation ist, die jeden Menschen befallen kann und an der man entweder verzweifelt, oder in die Hand Gottes fällt oder die Nichtigkeit so radikal bejaht wie Nietzsche, was aber wohl nur die wenigsten überhaupt könnten. Unter anderem deshalb habe ich große Achtung vor Nietzsche.
Hey, aus dir könnte ja mal ein großer Theologe werden! Ich würde dir fast vollumfänglich zustimmen, wenn man annimt, dass du mit “erfassbar” “empirisch erfassbar” meinst. Nur deinen Fehlschluss “nicht erfassbar” –> “gibt es nicht” würde ich nicht mittragen.
Klingt ansonsten auch fast wie Barth: “Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.”
Hmm. Du sagst also, du hättest keine Gewissheit, weil du irren könntest? Ich skizziere mal deine Argumentation: Du würdest jede absolute Konkretion mit Recht sofort dekonstruieren, dacore. Gleichzeitig forderst du von mir Konkretionen, weil du behauptest, alles, was im Abstrakten oder Transzendenten bleibt, sei Unfug. Die einzig zulässigen Aussagen wären also solche, die man leicht dekonstruieren kann. Wo siehst du denn in deinem cleveren System die Möglichkeit zum Irrtum? Wo ich sie sehe, habe ich oben schon gesagt.
btw: Ich bediene mich natürlich verschiedener Konkretionen. Gott als Vater, Helfer, Geist, Sohn, Christus etc. Alles wunderbare Anthropomorphismen. Ich bin mir aber bewusst, dass es nur Bilder sind, die Gott allenfalls teilweise wirklich und das auch nur im aktuellen Kontext beschreiben. Deshalb ja auch je nach Situation andere Bilder. Das ist aber nicht das Wesentliche, nach dem du fragst, auch wenn sie semiotisch darauf verweisen können. Mit Semiotik kenne ich mich aber noch nicht so gut aus, deshalb müsstest du da selbst schlau machen. Du fragst aber nach allgemeingültigen Definitionen. Und die gibt es nicht, wie ich in dieser Gesamt-Diskussion schon mehrmals versucht habe zu zeigen. Übrigens genauso wenig in der Gottes-Frage wie in der Theodizee-Frage. Da kenne ich in der Tat einige gute Ansätze, die aber alle nur je zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Situation sinnvoll sein können, nicht allgemein.
Mein Glaube ist insofern auch nicht unerschütterlich, sondern durchaus dynamisch, weil von der jeweiligen Situation beeinflussbar. Ich sagte nur, dass bis jetzt (!) alle Anfechtungen letztendlich nicht stark genug waren, um ihn zum Einsturz zu bringen.
Das Stichwort ist Dialektik. Also die Spannung in einem Widerspruch auszuhalten und nicht vorschnell einseitig aufzulösen, sondern in der Spannung den Widerspruch in eine (evtl. zeitliche und/oder fragmentarische) Synthese umzuwandeln. Heutzutage herrscht leider ein Weltbild, das einen monistischen Materialismus propagiert. Für die Wurzeln unserer Kultur war es völlig selbstverständlich, dass es verschiedene Facetten von Existenz gibt, die nicht das gleiche sind, sondern nur das gleiche aus unterschiedlichen Blickwinkeln beobachten und sich dabei ergänzen. Die einzig gültige Wirklichkeit ist aber heutzutage die Naturwissenschaft, zumindest in großen Teilen der westlichen Welt. Im Antiken Griechenland gab es selbstverständlich neben dem Logos den Mythos, und zwar mit einer klaren Funktion: Der Logos erklärt die Welt, hat aber seine Grenzen. Der Mythos hilft, die Welt in ihrer Ganzheit zu verstehen. Im semitischen Kulturraum wird Ganzheit nicht durch logische Exaktheit, sondern durch Dualität ausgedrückt, indem Dinge gepaart werden, die einander das Gegenteil sind (Sonne/Mond, Himmel/Erde etc.). Das Ganze sich in den Universitäten mit den Natur- und Geisteswissenschaften fortgesetzt: Erstere zum Erklären, letztere zum Verstehen.
Ich kann dir nichts über Gott erzählen, sondern nur über meinen Glauben und auch das nur eingeschränkt ob der äußeren Gegebenheiten.
Wenn ich eine Blume sehe, dann ist sie naturwissenschaftlich ein wundersamer Haufen verschiedener Pflanzenteile, die aus vielen Zellen bestehen, welche wiederum aus schir unendlich vielen Molekülen, noch mehr Atomen etc. bestehen. Die Blume ist jetzt erklärt, aber noch lange nicht verstanden. Ich kann sie natürlich als das verstehen, was sie erklärterweise ist: Ein mehr oder weniger kunstvoll gestalteter Atom-Haufen, in dem bestimmte chemische Prozesse ablaufen und der sich nach bestimmten biologischen Mechanismen verhält. Ich kann sie aber auch ästhetisch verstehen: Als Kunstwerk, das mich bewegt, oder kulturtheoretisch: Als Zeichen für eine bestimmte Sitte (z.B. Lilien bei Trauer, Rosen für Liebe etc.), oder eben auch religiös: Als Geschenk Gottes. Der Unterschied liegt in der Perspektive, nicht in der Blume und deshalb widersprechen sich Glaube und Naturwissenschaft für mich auch nicht: Glaube als Hermeneutik ist eine völlig andere Kategorie als Naturwissenschaft. Und die religiöse Deutung steht damit erstmal grundsätzlich gleichberechtigt neben anderen. Warum der Glaube jedoch eine besondere Kategorie ist, kann sich einem erst erschließen, wenn man die Erfahrung gemacht hat, weil sich etwas grundlegend ändert in der Art und Weise, die Welt zu begreifen. Und deshalb ist die Differenz auch nicht “glauben” und “nicht glauben (im Sinne von: Die Tätigkeit “glauben” nicht ausführen)”, sondern “glauben” und nicht “nicht glauben (im Sinne von: Die Tätigkeit “nicht-glauben” ausführen)”.
Ich wills mal mit einem (natürlich nur bedingt übertragbaren, aber dennoch hier vielleicht ganz eindrücklichen) Bild in Anlehnung an C.S. Lewis veranschaulichen:
Ich glaube nicht in erster Linie, dass die Sonne aufgegangen ist, weil ich die Sonne sehe. Die Sonne direkt anzuschauen wäre ja auch eher schädlich. Ich glaube, dass die Sonne aufgegangen ist, weil ich durch sie alles andere sehe.
Man kann jetzt nur entscheiden: Mache ich die Augen auf oder lasse ich sie zu. Wenn ich sie zulasse, werde ich die Sonne nur sehr schwer wahrnehmen können. Der Versuch sie zu beschreiben ist so erfolgversprechend, wie der Versuch, einem Blinden Farben erklären zu wollen.
Ziemlich genau das sagt auch Bonhoeffer im größeren Zusammenhang des Zitats, mit dem wir begonnen haben. Knuuut hat Recht, wenn er sagt, eigentlich kann man diese Diskussion nur face2face richtig führen.
Deshalb will ichs jetzt diesmal mit dem etwas längeren Zitat wirklich bewenden lassen ;D
Oktober 21st, 2010 at 02:15
Sapere, nur so aus Neugier: Ob du es selbst tun willst oder nicht, bleibt natürlich dir überlassen, aber siehst du wirklich keinen Sinn darin, andere zu missionieren?
Sicher, der Ausdrück ist aus vielen Gründen unschön, aber gegen das, was er aussagt, habe ich eigentlich nichts. Man sollte andere Leute nicht nerven und die Grenzen des Anstands einhalten, und mein Lebensziel ist es auch gerade nicht, aber grundsätzlich finde ich es äußerst erstrebenswert, andere Leute von den Vorteilen einer rationalen skeptischen Weltsicht zu überzeugen. Die Gründe hast du – nicht nur in dieser Dikussion – schon oft genug selbst genannt.
Meinst du wirklich, dass du nicht den Wunsch hast, irgendwen zu überzeugen, oder störte dich nur der belastete Ausdruck “Mission”?
Oktober 21st, 2010 at 19:21
Muriel, nein, ich sehe keinen Sinn darin zu irgendetwas zu missionieren. Ich halte manche Dinge für richtig und wichtig und hoffe, dass auch andere das tun. Aber wenn sie das nicht tun, kann ich damit leben.
Aber es gibt Dinge, die ich nicht verstehe und die ich sogar falsch finde. Und dazu gehört Theismus. Und das versuche ich mir erklären zu lassen. Ich versuche zu verstehen, warum andere nicht sehen, was ich sehe und nicht falsch finden, was ich falsch finde.
Ich weiß also nur, was ich NICHT gut und NICHT richtig finde. Was dagegen wirklich gut und richtig ist, weiß ich leider auch nicht. Und wenn man nicht weiß, was objektiv richtig ist, fällt es schwer zu missionieren.
Christen, wie helias, wissen was objektiv richtig ist. Oder sie sind zumindest im Besitze des Schlüssels zu dieser objektiven Wahrheit. Denn es steht schwarz auf weiß in “Gottes Wort”. Da wird dann viel falsch interpretiert und mißverstanden … aber es gibt sie wenigstens, die objektive Wahrheit.
Und zu einer solchen Wahrheit kann man dann auch missionieren. Wenn nötig, mit ein wenig stärkerem Nachdruck als in so einer Internetdiskussion möglich ist. Mit Zwangstaufen z.B., wenn jemand seinen Job behalten will. Oder freundlichen Hausbesuchen bei Kirchenaustrittswilligen. Oder mit der Vermittlung der “Ehrfurcht vor Gott” als oberstem Schulziel im Landesschulgesetz, Schulgebeten und Kruzifixen in Klassenzimmern und Gerichtssälen.
Naja, solchen einfachen Sachen halt, die jeder Weltanschauungsgemeinschaft in Deutschland zustehen. 😆
Oktober 21st, 2010 at 21:10
Helias, Karl-Heinz Deschner hätte ich sicher irgendwann auch noch erwähnt, wenn Du mir nicht zuvorgekommen wärst.
Und natürlich gehe ich nicht davon aus, dass all die von mir genannten Verbrechen von Dir oder Deinen Gemeindemitgliedern vollbracht werden oder wurden. So wenig, wie ich alle Deutschen für die Naziverbrechen und alle DDR-Bürger für die Verbrechen der SED haftbar mache. Natürlich nicht.
Aber gibt es den Nationalsozialismus noch? Oder den Kommunismus?
Nein?
Warum nicht?
Vielleicht weil es im Kern menschenverachtende Ideologien sind, die die Menschenrechte mit Füßen treten?
Wie sieht das nun mit dem Christentum aus?
Beim Christentum handelt es sich um eine totalitäre Ideologie.
Totalitarismus ist gekennzeichnet durch eine diktatorische Form von Herrschaft, die, im Unterschied zu einer autoritären Diktatur, in alle sozialen Verhältnisse hinein zu wirken strebt, oft verbunden mit dem Anspruch, einen „neuen Menschen“ gemäß einer bestimmten Ideologie zu formen.
Das galt für Nationalsozialismus und Stalinismus und gilt für das Christentum.
Wir finden den für eine totalitäre Ideologie typischen Personenkult um Jesus und den klassischen Kadavergehorsam jedem biblischen Wort gegenüber.Die Bibel ist absolut wahr – nur die unterschiedliche Interpretation durch unterschiedliche Leser kann falsch sein.
So wie im Stalinismus und Nationalsozialismus ist das Wort des Führers Jesus immer gut und wahr – lediglich am Verständnis und der Umsetzung haperte es häufig.
Der ewige Ratschluss des Führers durfte nicht hinterfragt werden – allein das Bodenpersonal, das ist natürlich fehlbar und für die Mängel verantwortlich.
Bei Deiner Religion handelt es sich also um nichts anderes als eine handelsübliche Ideologie.
Einer, die bereits Millionen von Menschen das Leben gekostet hat. Und Du bist wütend über alle, die “den Namen des Herrn unnütz führen”?
Wie kannst Du das behaupten? Wie weißt Du, dass Deine persönliche Interpretation die richtige ist und nicht die der christlichen Terroristen?
http://en.wikipedia.org/wiki/Christian_terrorism
Du schreibst:
Die Voraussetzung zur Beantwortung dieser Frage ist die Beantwortung der Frage, was die in Bonhoeffers Zitat genutzten Begriffe bedeuten.
Du schreibst weiter:
Nenn mir eine Sache, die wir (auch indirekt bzw. vermittelt, z.B. Ultraschall) nicht erfassen können und die es trotzdem zweifellos gibt!
Und nein, mit „erfassbar“ meine ich auch logisch erfassbar.
Du weiter:
Womit sich der Herr Barth widerspricht – denn wenn wir nicht von X reden können(!), reden wir nicht von X, sondern von Y oder Z. Und dann gibst Du vielleicht Y oder Z „die Ehre“ aber nicht X.
Du schreibst weiter:
Nein, ich würde nicht jede Konkretion sofort dekonstruieren, sondern nur unsinnige. Wenn Du den Begriff sinnvoll definierst, also z.B. Gott = das Käsebrötchen vor Dir, dann kann ich das schlecht dekonstruieren. Aber sowas wie Gott = allmächtige Person läßt sich sehr leicht plattmachen.
Aber prinzipiell hast Du es richtig erkannt, die einzig zulässigen Aussagen sind die, die man prinzipiell(!) dekonstruieren könnte, weil sie ausreichend konkret sind.
Man kennt das in der Wissenschaftstheorie unter dem Falsifikationsprinzip. Hypothesen müssen falsifizierbar sein, sonst sind sie dummes Gewäsch. Und genau da liegt auch die Möglichkeit zum Irrtum. Ist eine Hypothese ausreichend konkret, dass sie sich falsifizieren läßt, kann man sie auch prüfen – und damit sogar vielleicht verifizieren.
Du schreibst weiter:
Wie auch immer Du Deinen imaginären Freund
bezeichnest – er bleibt imaginär.
Du stellst in Deinen darauffolgenden Ausführungen die Kritik an Deinen unprüfbaren Hypothesen als eine Folge eines naturwissenschaftlichen Reduktionismus dar. Die Blume als „Haufen verschiedener Pflanzenteile“, ein Atomhaufen.
Das ist natürlich absurd. Wie kannst Du glauben, ich sähe in der Blume nur einen Zellhaufen?
Unser subjektiv ästhetisches Empfinden wird doch durch die Aussage, dass dort eine Blume steht, nicht infrage gestellt. Selbstverständlich empfinde ich die Schönheit und Anmut einer Rose.
Aber die Schönheit und Anmut , die ich sehe und empfinde hat einen Gegenstand, den Zellhaufen Rose. Die Rose ist ja da. WIE ich sie sehe ist abhängig von der Perspektive, die ich einnehme.
Sehe ich die Rose als Biologe, sehe ich vielleicht ihre Pflanzenfamilie – als Poet ihre Schönheit und als Verliebter ihren Gebrauchswert.
Aber die Rose bleibt die Rose. Sie ist da. Egal, wer sie anschaut. Egal was auch immer er oder sie sieht. Die Rose ist da.
„Gott“ ist dagegen ein leeres, weil vieldeutiges und nichts als weitere Worte bezeichnenden Wort.
Du schreibst:
Und das will ich Dir auch nicht nehmen. In welchem hermeneutischen Zirkel Du auch immer rotierst, es bleibt Dir überlassen. Aber ein Problem entsteht, wenn Hermeneutik zum Selbstzweck wird und man aus der Hermeneutik entandenen Konstrukten plötzlich hermeneutikunabhängige Realität zusprechen will.
Und dann wird es sehr merkwürdig:
Das mußt Du mir erklären! Wie soll ich die Tätigkeit Nichtrauchen ausführen? Die Tätigkeit Nichthaareschneiden, Nichtlesen, Nichttanzen? Dann führe ich ja gerade alle Tätigkeiten der Welt aus, die nicht Lesen und Schreiben beinhalten?!
Das macht keinen Sinn, helias. Tut mir leid.
Du schreibst dann:
Ich kann die Sonne aber anschauen. Deshalb weiß ich, dass sie da ist. Selbst wenn der Himmel bewölkt ist, ist die Sonne sichtbar. Wenn auch nur schemenhaft. Ich sehe durch sie alles andere – aber ich weiß auch wie das funktioniert. Ich kann vorhersagen und prüfen. Objektiv.
Zum Abschluss bringst Du ein Bonhoeffer-Zitat, das mich traurig und ein bißchen wütend macht.
Selbstverständlich hat Bonhoeffer Recht, wenn er schreibt, dass es ein Widerspruch sei, jenseits des Seienden ein „es gibt“ auffinden zu wollen.
Aber dann wird es elitistisch und exklusiv:
Die Behauptung Dein „Gott“ sei im „Personenbezug“ nur denen verständlich, die „in die Wahrheit gestellt sind“.
Das willst Du Dir doch nicht wirklich zu eigen machen oder? Exklusivistische Gnade? Bist Du vom Herrscher der Welt auserwählt ihn zu erkennen?
Und für mich soll eine andere Person dagegen nur ein „Ding“ sein? Bin ich in Deinen Augen der Wilde ohne Gefühl und Verstand, dem alles seelenlose Maschine ist und den man deshalb als niedere Kreatur, als seelenlose Maschine behandeln darf?
Willst Du mich beleidigen oder siehst Du die gefühllose und überhebliche Dummheit dieser Bemerkung nicht?
Helias, genau dieser monströse Glauben an die eigene Besonderheit und Auserwähltheit, die Annahme gefühlvolle und empfindsame Mitmenschen nur unter Gemeindemitgliedern finden, ist es, der zum tödlichen Überlegenheitswahn der letzten Jahrtausende erheblich beitrug.
Mir ist schlecht.
Oktober 21st, 2010 at 22:27
Du liest mal wieder nur das aus meinen Aussagen heraus, was deinen Klischees entspricht. Wo habe ich gesagt, du hättest kein ästhetisches Empfinden? Wo habe ich gesagt, du seist ohne Gefühl oder Verstand?
Ist dir eigentlich bewusst, wie beleidigend es für einen Theisten ist, der sich redlich bemüht, seinen Glauben auch für Atheisten verständlich zu machen, die das von ihm fordern, und der dann mit vorgefertigten Klischees abgeurteilt wird, ohne das auch nur der geringste Versuch unternommen wird, nachzuvollziehen, worum es dem Theisten geht? Besonders für mich, der ich lang und breit erzählt habe, was ich glaube und was nicht und dann mit einer falschen Interpretation von Bonhoeffer direkt mit untergeschoben bekomme, ich glaube an meine eigene Auserwähltheit als Gläubiger und Besonderheit im Gegensatz zu Ungläubigen? Gibt es bei dir eigentlich nur einen Stereotyp von Gläubigen, dem du alle Theisten anpasst, die dir begegnen?
Du willst es so lesen und verstehen, weil es dich eigentlich nicht interessiert, nachzuvollziehen, was ich denke, sondern weil du deine Vorurteile bestätigt wissen willst, nämlich, dass Theismus unsinnig und falsch ist (Zitat von oben). Hast du wirklich richtig gelesen, was ich zum Thema Dialektik und Perspektivität geschrieben habe? Nein, denn dann würdest du nicht so einen Unsinn schreiben.
Die erste Regeln beim Lesen philosophischer Texte lautet pro autore. Zumindest an philosophischen und theologischen Fakultäten. Versuchen, nachzuvollziehen, was der Autor meint. Wenn ich dabei etwas nicht verstehe, dann liegt das erstmal daran, dass ich den Text nicht richtig gelesen / verstanden habe und nicht daran, dass der Autor dumm ist. Erst wenn ich wirklich sicher bin, den Text in seinem Gesamtzusammenhang verstanden zu haben, kann ich anfangen, kritische Anfragen zu stellen: contra autore. Ansonsten komme ich unweigerlich zur Steinbruch-Philosophie/Theologie, in der man Bruchstücke aus dem Kontext reißt, so den Sinn entstellt, und diesen untergeschobenen entstellten Sinn kritisiert. Und das ist natürlich wertlos.
Vielleicht war es ja aber auch einfach zu lang, deshalb nochmal kurz für dich, was ich oben zu Perspektivität gesagt habe:
Der Mensch ALLGEMEIN braucht neben der naturwissenschaftlichen ERKLÄRUNG der Welt (Blume als Zellhaufen etc.) auch eine DEUTUNG (Wie kann ich das verstehen? –> Hermeneutik) dessen, was erklärt wurde sowie der Zusammenhänge dazwischen. Diese Deutung kann nach unterschiedlichen Mustern erfolgen, z.B. Ästhetik oder Religion. Von AUßEN betrachtet ist Religion EINE MÖGLICHEN UNTER VIELEN Deutungsperspektiven. Sobald man jedoch die Erfahrung des wirklichen Glaubens gemacht hat (“in die Wahrheit gestellt ist”), verändert das den gesamten Deutungsprozess so fundamental, dass Religion zur BESONDERS RELEVANTen Perspektive auf die Welt wird. Diese Besonderheit erschließt sich jedoch erst von INNEN, aus der subjektiven Sicht des Gläubigen.
Selbst wenn du also wirklich versuchen würdest, zu verstehen, warum Theisten gläubig sind, und nicht nur deine Vorurteile in das hineinlesen würdest, was andere dir darauf antworten, gäbe es eine grundsätzliche Grenze in der Möglichkeit des Verstehens, die durch die Innen- und Außenperspektive auf Religion gekennzeichnet ist.
Und das hat nichts mit Herabwürdigung von Nicht-Gläubigen zu tun, sondern ist erstmal rein eine Beschreibung des Phänomens. Die Wertung liest du hinein, obwohl keine darin angelegt ist. Ich habe weder eine Aussage über Wahrheit, noch eine über Auserwähltheit oder Gnade gemacht.
Ich könnte jetzt auch nochmal alles andere wiederholen und auch da zeigen, dass deine Vorurteile bei mir nicht zutreffen, da habe ich aber keine Lust drauf. Es würde dich wahrscheinlich nur weiter dazu animieren, mir irgendwelche Plattitüden unterzuschieben.
Vielleicht solltest du mehr mit Atheisten diskutieren als mit Theisten. Da hast du vielleicht weniger Vorurteile, die als Scheuklappen jede vernünftige Diskussion unmöglich machen. Probiers mal mit Herberst Schnädelbach. Einer der wenigen moderaten, aber trotzdem an der Gottesfrage engagierten Atheisten, die respektvoll mit ihren Diskussionspartnern umgehen, indem sie jene eben nicht mit Vorurteilen überfahren oder deren Intelligenz (direkt oder indirekt) grundsätzlich in Frage stellen. Sein Aufsatzband “Religion in der modernen Welt” ist durchaus beachtenswert, obwohl er live in der richtigen Diskussion natürlich noch beeindruckender ist.
So, ich suche mal die Deaktivierung der Email-Benachrichtigung, denn ich habe keine Lust, meine Zeit mit Beschimpfungen und unwahren Unterstellungen zu verplempern.
btw: Die Behauptung, ausgerechnet Dietrich Bonhoeffer würde irgendeine Art von Überlegenheitswahn kultivieren, ist für jeden, der auch nur die wichtigsten Eckpunkte seiner Biographie kennt, so absurd, dass eine Diskussion darüber in etwa so sinnvoll ist, wie eine Diskussion z.B. darüber, ob es den Holocaust wirklich gab.
Oktober 22nd, 2010 at 03:20
@sapere: Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob wir dasselbe meinen. Mein Eindruck wäre gewesen, dass du diese Seite unter Umständen auch beschreibst, um Leute zu überzeugen.
Und ohne eine lange Diskussion anfangen zu wollen (Die gehörte ja eigentlich eher in den Ethikthread.):
Ich glaube, du weißt mehr, als du hier zugeben magst. Und ich finde das Verbreiten der eigenen Überzeug auch durchaus gut und richtig. (Helian, hier wäre also dann wohl ein neuer Rekord in deinen Erfahrungen zur atheistischen Mission, obwohl natürlich atheistische Mission insofern Unfug wäre, als man wohl irgendeine positive Überzeugung und vielleicht noch einige Werte bräuchte, um zu missionieren.) Das Problem in der Mission der Religionen ist in meinen Augen auch nicht, dass sie andere überzeugen wollen, sondern wie sie es tun, und natürlich wovon sie uns überzeugen wollen.
Aber wie gesagt, wir müssen das hier nicht diskutieren, du hast ja mit Helian genug zu tun. Ich bewundere übrigens deine Disziplin.
Oktober 22nd, 2010 at 11:44
Muriel, nein, ich schreibe dieses blog, weil ich über die Dinge schreiben will, die ich interessant und beschreibenswert finde.
Und ich schreibe dieses Blog, weil ich Menschen kennenlernen will, mit denen ich diskutieren kann und von denen ich etwas lernen kann. Leute, wie z.B. helias. Dank helias weiß ich jetzt, dass sogar der große Bonhoeffer nichts anderes als ein Anhänger eines ganz gewöhnlichen Exklusivitäts-Totalitarismus war. Und das find ich toll. 🙄
Aber was die Ethikdebatte angeht: Ich habe gewisse Ansichten. Die sind möglicherweise falsch. Dann lasse ich mich gern belehren. Oder sie sind richtig, dann lasse ich mich gern bestätigen. Voraussetzung dazu ist die Bereitschaft und die Fähigkeit zum Diskurs. Mit jedem. Denn vielleicht irre ich ja – oder entdecke ganz neue, noch richtigere Ansichten.
Oktober 22nd, 2010 at 12:43
Helias, in jeder Diskussion gibt es Verständnis und Mißverständnis. Sollte ich Dich mißverstanden haben, freue ich mich, dass Du das Mißverständnis korrigierst.
Du schreibst, dass es beleidigend für Dich sei, dass ich Dich mit vorgefertigten Klischees aburteile und nicht den geringsten Versuch unternehme, nachzuvollziehen worum es dem Theisten geht.
Ich weiß nicht recht, ob die Zeit, die ich bisher in diese Diskussion mit Dir investiert habe, die Fragen, die ich Dir gestellt habe und den Raum, den ich Dir hier in meinem Blog eingeräumt habe, nicht für sich sprechen.
Aber vermutlich glaubst Du, ich täte all dies nur, um Dich um so ausführlicher mißzuverstehen und beleidigen zu können.
Geh bitte davon aus, dass ich Dich nicht bewußt und in böser Absicht mißverstehe.
Du glaubst, dass ich mir meine Vorurteile bestätigen will? Tut mir leid. Genau das Gegenteil ist der Fall. Ich will, dass Du meine Vorurteile zerstörst und mich erleuchtest.
Aber bitte, wie soll ich die von Dir zitierte Textstelle verstehen? Du schreibst dazu:
Ich habe die „Erfahrung des wirklichen Glaubens“ nicht gemacht.
Ich frage Dich nun: Wie kommt es dazu? Wie ist es möglich, dass es Menschen gibt wie Dich, die die „Erfahrung des wirklichen Glaubens“ machen und Menschen wie mich, die das nicht tun?
Ich habe von anderen Christen gehört, dass es sich hier um eine „Gnade“ handelt? Stimmt das?
Und ist jemand der die „Gnade des Glaubens“ erfahren darf „Gott auserwählt“ oder nicht?
Ich frage dies, weil ich wissen will, ob ich mich irre.
Du unterstellst mir, ich hätte ein Interesse daran, die Hypothese zu bestätigen, dass Theismus unsinnig und falsch ist. Als vernünftiger Mensch versuche ich eher das Gegenteil. Ich versuche herauszufinden, ob die Hypothesen des Theismus vielleicht zutreffend und nützlich sind.
Und Du unterstellst mir Stereotypisierung?
Ich denke, was Unterstellungen und Beleidigungen angeht, sind wir quitt. :o)
Und nun noch einmal zu Deiner Trennung zwischen „ERKLÄRUNG“ und „DEUTUNG“:
Selbstverständlich sieht man die Welt im Falle eines Bekehrungserlebnisses plötzlich anders. Man glaubt, neue Zusammenhänge zu erkennen und Wahrheiten zu entdecken, die einem zuvor verborgen waren. Dieser Proselytismus hat natürlich entscheidende Bedeutung für den Proselyten – allein, die Welt bleibt die gleiche.
Und auch wenn man durch das „in die Wahrheit gestellt werden“ (…was für ein selbstgerechter, überheblicher Begriff. Man stelle sich vor, Atheisten würden ihren Abfall vom Glauben ebenso bezeichnen …) die Welt plötzlich völlig anders sieht, man kann sich sogar darin fundamental irren.
Deshalb ist „der Glauben“ oder die „Erfahrung des wirklichen Glaubens“ oder „in die Wahrheit gestellt werden“ nichts anderes als die Konversioen zu einer handelsübliche Ideologie.
Das ist nichts Außergewöhnliches. So eine Erfahrung machen Menschen täglich. Mit den unglaublichsten Überzeugungen und Ansichten.
Mancher konvertiert zum Islam. Andere zum Sozialismus. Der eine war Vegetarier, bis er ein Schnitzelrestaurant besucht hat und eine „Offenbarung“ erlebte.
Diese subjektive Erfahrung der Bedeutung, die wir Dingen geben, ändert nichts an den Tatsachen. Schnitzel bleiben Schnitzel. Soziale Verhältnisse bleiben soziale Verhältnisse. Und Unerklärliches bleibt (oft) Unerklärliches.
Du nennst das, was Du nicht erklären kannst, „Gott“. Du glaubst, Du könntest es durch Gebete und rituelle Handlungen beeinflussen. Und Du glaubst, dass sich das Unerklärliche in einem Buch offenbart.
Oder sind das Unterstellungen?
Und noch ein letztes Wort zu Dietrich Bonhoeffer:
Dass der Mann seinen Totalitarismus gegen einen anderen stellte und dadurch in den letzten Jahrhzehnten mehr und mehr zum Märtyrer stilisiert wurde, macht seine Aussagen nicht wahrer und über jede Kritik erhaben.
Deshalb nochmal an Dich die Frage – unter Vernachlässigung aller Beleidigungsgefühle:
Ist das „in die Wahrheit gestellt werden“ eine „Gnade Gottes“ oder nicht?
Die Antwort auf diese Frage, ist die Antwort auf eine viel wichtigere Frage: Warum gibt es so viel religiöse Gewalt.
Und das wiederum beantwortet die Frage, warum Atheisten den totalitären Wahrheitsanspruch der monotheistischen Ideologien fundamental infrage stellen.
Oktober 22nd, 2010 at 17:47
Nur ein wenig Grundwissen zu Bonhoeffer, damit ich mir nicht vorwerfen muss, Bonhoeffer unter Umständen falsch dargestellt zu haben: http://de.wikipedia.org/wiki/Religionsloses_Christentum
Falls du immernoch daran festhalten willst, Bonhoeffer propagiere ein totalitäres System: Dann soll es halt so sein.
Ansonsten ist, denke ich, alles gesagt, was es wert ist, gesagt zu werden.
Oktober 22nd, 2010 at 19:37
helias, wer schreibt, dass jemand eine Sache erst versteht, wenn er “in die Wahrheit gestellt ist”, und dass alle, die nicht “in die Wahrheit gestellt” sind “Menschen in der Unwahrheit” sind, denen Personen Dinge sind, der vertritt einen Exklusivitätskult.
Die Aussage, dass “Gott” nur versteht, wer “in die Wahrheit gestellt” wurde (von wem auch immer) bedeutet im Prinzip: Gott = Wahrheit
Das ist Unfug.
Darüber hinaus war Bonhoeffer bei allem “religionslosem Christentum” eben Christ. Und die christliche Lehre, wie sie in der Bibel zu finden ist, ob man sie nun übernatürlich interpretiert oder nicht, ist eine Lehre der bedingunglosen Unterwerfung unter Jesus Christus. Die Autoren der Bibel lassen Jesus nicht sagen, dass seine Nachfolger ihren eigenen Verstand gebrauchen sollen. Jesus diskutiert auch nicht. Jesus legt fest, verspricht und droht. Wer nicht seine Familie und seine Freunde hasst, der kann ihm nicht nachfolgen … und wer ihm nicht nachfolgt, wird seinen “gerechten Lohn” bekommen.
Christentum – ob religiös oder nicht – ist totalitär. Ob es Dir passt oder nicht.
Und ich habe was gegen Totalitarismus und Forderungen nach bedingungslosem Gehorsam. Aber das mag Dir anders gehen. Alles Gute damit!
Oktober 22nd, 2010 at 22:31
Schon wieder eine Unterstellung! Das mag deine Lesart der Bibel (und auch Bonhoeffers) sein, im Übrigen genau die der Fundamentalisten, die eine wortwörtliche, eineindeutige Lesart vertreten. Die kannst du gerne haben und dich weiterhin darüber empören (und das mit Recht im Fall der Bibel).
Du beklagst in deinem neuen Beitrag, dass Atheisten oft stereotypisiert werden und diese Klischees oft selbst pflegen und wendest dich vehement dagegen. Schon mal drüber nachgedacht, dass das nicht nur bei den Atheisten so ist? Es gibt Christen, die das von dir kultivierte Klischee von Gläubigen gerne bedienen. Dazu gehöre ich nicht. Genauso wenig, wie du der gefühlslose Standart-Atheist sein magst, bin ich der Standart-Fundi.
Nimm bitte zur Kenntnis: Deine Lesart ist nicht die einzige. Es ist zumindest nicht meine.
Ich versuche die Diskussion jetzt nochmal von meiner Seite aus neutral zu beenden und hoffe, dass das von beiden Seiten aus geht ohne nochmal einander unzulässigerweise Klischees zuzuschreiben.