Lieber Herr Dr. Blume,
August 31st, 2008
vielen Dank für Ihre, dann wohl abschließende Antwort auf meine Fragen. Ich muß natürlich zugeben, dass mein letzter Kommentar wohl etwas lang geraten ist und sich für eine dezidierte Beantwortung nicht gerade aufdrängt.
Und selbstverständlich kann ich von Ihnen auch nicht verlangen, auf die wirklich kritischen Fragen einzugehen. Das ist ja schließlich Ihr Blog.
Ich möchte trotzdem nicht versäumen, mich doch noch kurz Ihren abschließenden Anmerkungen zu widmen. Zunächst eine generelle Feststellung: Wenn Sie das, was Sie (und ich) hier auf Ihrem Blog betreiben als „Wissenschaft“ bezeichnen oder, wenn nicht dies dann vielleicht als „Wissenschaftsjournalismus“, so unterliegen Sie, fürchte ich, einem nicht zu unterschätzenden Irrtum. Was Sie hier treiben, hat mit Wissenschaft mindestens genausoviel zu tun, wie Ihr täglicher Weg zur Arbeit mit einem olympischen Marathonlauf.
Wissenschaft heißt:
1. Erbsenzählen
2. ohne Meinung
Sie dagegen rücken hier buchstäblich Kontinente und wissen auch scheinbar ganz genau wohin. Sie verbreiten eine Weltanschauung, was natürlich Ihr gutes Recht ist, jedoch mit der etwas anmaßenden Attitüde „objektiver“ Wissenschaft.
Wenn Sie hier ausführlich über Befunde jubeln, die Ihre Hypothese zu bestätigen scheinen, dass Religiosität ein evolutionärer Reproduktionsvorteil sei und dabei auf die ebenso ausführliche Darstellung widersprechender oder möglicherweise sogar differenzierender Annahmen und Befunde einzugehen (ich verweise auf die Ergebnisse von Gregory Paul zur positiven Korrelation zwischen Religiosität und Kriminalität und „unmoralischem“ Verhalten) offenbar für völlig unwichtig halten, dann unterstelle ich Ihnen einfach mal, hier einer Freizeitbeschäftigung nachzugehen, die einer möglichst selbstwertdienlichen permanenten Selbstbestätigung dient. Und das ist Ihnen auch uneingeschränkt gegönnt, aber bezeichnen Sie dies bitte nicht als Wissenschaft!
Nun zu den Diskussionpunkten, auf die Sie eingegangen sind:
Sie bestätigen, dass die Großreligionen Mitgliederverlust verzeichnen. Gut. Sie sprechen andererseits von einem fundamentalen – die Verluste quasi ausgleichenden Zuwachs der kleinen Religionsgemeinschaften. Sie sprechen von blühende Freikirchen, Synagogen, Moscheen, buddhistische Zentren etc. pp.? Schauen Sie sich doch bitte das Verhältnis von nichtchristlichen sowie freikrirchlichen und anderen christlichen Gemeinschaften zu den beiden Hauptkirchen an (Link) ! Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass die irgendetwas auffangen?
Dass es eine hohe Variabilität in Glaubensfragen in Deutschland gibt, wird von Ihnen als gleichwertiger Zuwachs überschätzt. Über die Personenzahl einer Mitgliederverdopplung einer Freikirche können die beiden Großkirchen nur müde lächeln.
Schauen Sie sich doch an, wie die Alterskurve für die Selbsteinschätzung von Religiosität in Deutschland aussieht!
Denken Sie, dass sich da so bald drastisch irgendetwas ändert? Ach nein, unsere Diskussion ist ja beendet.
Sie glauben an die Wellenförmigkeit des Ausmaßes der Religiosität? Glauben Sie eigentlich auch, dass Monotheismus einen höheren Reproduktionserfolg verspricht? Und dass die ganzen Religionsbrüder und -schwestern dann ausreichend Lebensraum brauchen? Man kann die Andersdenkenden ja ein bißchen wegterrorisieren:
Sie behaupten, dass für Sie die Richtigkeit eines Glaubens an übernatürliche Akteure unerhebelich ist – und haben doch bereits ein entsprechendes Bekenntnis abgelegt – und wiederholen es Tag für Tag in Ihrem Blog. Sie beschwören den „objektiven“ Reproduktionserfolg eines Merkmals für das es bisher noch nicht einmal eine seriöse Definition gibt.
Und wenn Sie glauben, dass Religiosität vererbt wird, glauben Sie auch, dass Kriegsführung vererbt wird, Rauschgiftsuchtverhalten, Faschismus und Kommunismus?
Sie schreiben, dass es Ihnen leid täte, würde ich mich durch Ihre Religionsdefinition verletzt fühlen. Aber Sie wenden ein, dass Sie ja unmusikalisch seien und dass Sie dadurch ja auch nicht automatisch kulturlos sind. Wenn ich jetzt behaupten würde, dass ich außerordentlich musikalisch bin (was tatsächlich der Fall ist) und dass diese Musikalität ein enormer Reproduktionvorteil sei, was ja dann leider einen extrem hohen Überlebensnachteil für Ihre Nachkommen bedeuten würde? Wie fühlt sich das an? So ein bißchen minderwertig?
Ihre These vom höheren Reprouktions-„erfolg“ von Religiosität erinnert mich sehr dunkel (durchaus im Doppelsinne) an eine ganz ähnliche aus einer glücklicherweise längst vergangenen Zeit. Wie können Sie einem abstrakten psychischen Vorgang (der Glaube an übernatürliche Akteure) eine Erblichkeit zuordnen, ohne dass es seriöse Erblichkeitsstudien zu diesem Thema gibt?
Sie unterstellen mir Kategorienfehler, weil ich einen wie auch immer gearteten Beweis für das angebliche Eingreifen eines übernatürlichen Mannes verlange – während hunderte selbsternannter Prediger tausenden verzweifelten Menschen Geld aus der Tasche ziehen oder Dreizehnjährigen Bombengürtel umschnallen? Sorry, wenn ich diesen Vorwurf zurückgeben muss.
Und was die Frage nach dem Ehrenamt betrifft: 10% Unterschied bei einer Gesamthöhe von 60% Ehrenamtlichen in Ost und 70% in West dürfte wohl kaum als signifikant durchgehen. Und was Sie dabei ebenfalls vergessen, sind die zivilen Gesellschaftssrukturen, die sich innerhalb von 20 Jahren nach der Wende unmöglich vollständig normalisiert haben können. Der Freiwilligensurvey der Bundesregierung gibt eine schöne Erklärung für die Unterschiede:
“41% der früher Engagierten ab 60 Jahren geben die Auflösung der
Gruppe bzw. Organisation als Grund dafür an, das freiwillige Engagement beendet
zu haben, was nur auf 9% der Älteren in den alten Ländern zutrifft. Ähnliches zeigen
die in den neuen Ländern vermehrt angegebenen Gründe an, die mit Finanzschwierigkeiten
bei den Organisationen zusammenhängen. Dazu kommen aber
auch andere Probleme, dass sich z.B. Ziele nicht umsetzen ließen oder es an Freiwilligen
mangelte. Auch materielle Gründe mehr persönlicher Art werden in den
neuen Ländern vermehrt angegeben.”
Zu guter Letzt Ihr Argument zur Spendenbereitschaft Ostdeutscher im Vergleich zu Westdeutschen
http://religionswissenschaft.twoday.net/stories/4922836/
Finden Sie dass die finanzielle Spendenbereitschaft ein Indikator für die persönliche Auseinandersetzung mit dem Leid anderer Menschen ist? Dass dies zeigt, wie empathisch man ist? Ich füchte nicht.
Aber werfen wir doch einen differenzierteren Blick auf die von Ihnen zitierte Studie. Da stellen die Autoren fest,
“In den alten Bundesländern wurden kirchliche und
religiöse Organisationen sowie jene aus den Bereichen Hilfswerke und kommunale
Wohlfahrt als Spendenempfänger bevorzugt – hier lag die Spenderquote bei jeweils einem
Fünftel. In den neuen Bundesländern wurden hingegen von 14 Prozent der Spender Soziale
Dienste favorisiert. Der Gesundheitsbereich erhielt von 12 Prozent der Spender Zuwendungen.
Erst an dritter Stelle rangierten kirchliche und religiöse Zwecke mit 10 Prozent.
Für sie wurde nur halb so oft gespendet wie in den alten Bundesländern”
Nehmen wir also die 10% Spenden für kirchliche Organisationen, die Westdeutsche mehr spenden aus der Rechnung heraus, finden wir eine gleiche, wenn nicht gar höhere Spendenbereitsschaft bei Ostdeutschen im sozialen Bereich.
Übrigens sind auch fast zehn Prozent mehr Ostdeutsche (die mehrheitlich ja bekanntlich atheistisch = also egoistisch sind) als Westdeutsche in Wohlfahrtsvereinen (die der planmäßigen, zum Wohle der Allgemeinheit und nicht des Erwerbszweckes ausgeübten Sorge für notleidende oder gefährdete Menschen dienen) engagiert, während sich doppelt soviele Westdeutsche wie Ostdeutsche in Kulturvereinen finden.
Ehrenamtliches Engagement und Spenden dienen in Westdeutschland also offenbar vorwiegend dem Privatvergnügen, während Ostdeutsche eher an ihre Nachbarn denken. Unvorstellbar eigentlich, bei unmoralischen und kulturlosen Atheisten. Oder?
Ach stimmt ja, unsere Diskussion war ja beendet. Nun denn. Ich wünsche Ihnen, dass Sie gut schlafen können, wenn Sie vielleicht darüber nachdenken, dass der Unterschied zwischen Atheismus und Monotheismus darin besteht, dass der eine keinerlei Postulate über das Sein und Sollen des Universums aufstellt – der andere aber sehr wohl. Und dass man mit dem Glauben über ein angebliches Wissen mehr Schaden anrichten kann, als mit dem Bekenntnis, nichts zu wissen. Und Sie behaupten mit Ihrem Glauben mehr zu wissen als Atheisten, nämlich dass es einen übernatürlichen Mann gibt, der Ihre Handlungen beobachtet, würden Sie sonst Ihre Handlungen nicht an dieser Überwachung ausrichten? Wenn Sie das Gegenteil behaupten, habe ich den Papst, die Bibel und Sie offenbar falsch verstanden.
Ich möchte mit den Worten eines Mannes schließen, der zum Heiligsten gehört, das Sie und viele Millionen andere Menschen kennen. Jesus sagte, laut Bibel:
„Doch jene meine Feinde, die nicht wollten, daß ich über sie herrschen sollte, bringt her und erwürgt sie vor mir.“
(„But those enemies of mine who did not want me to be a king over them- bring them here and kill them in front of me.”)
Lukasevangelium, Kapitel 19, Vers 27
Gute Nacht! ;o)
August 31st, 2008 at 15:58
Eine kleine Anmerkung hätte ich zu dieser ingesamt sehr spannenden Diskussion. Sapere Aude, wenn ich Herrn Blume richtig verstanden habe, ging es ihm (unter anderem) um folgendes: Die Fähigkeit, an einen übernatürlichen Akteur zu glauben ist durch Evolution entstanden, deswegen konnten es Menschen irgendwann und können es Tiere und die Vormenschen nicht. Dies noch unabhängig davon, ob es so einen Akteur oder mehrere überhaupt gibt und wie die heißen und was sie machen, wenn überhaupt. Und dann stellt er die Behauptung auf, dass es einen Vorteil ausmachte, an so eine Instanz zu glauben, weil man sich dann emsiger vermehrt. Und die Fähigkeit daran zu glauben ist natürlich vererblich, das jeweils geglaubte aber tradiert. Ich finde das ist durchaus ne einsichtige Argumentation. Und zwar immer noch unabhängig davon, um was für eine Instanz es sich handelt oder ob einer oder keiner oder beide Diskussionspartner daran glauben/zweifeln.
(Dass es sich eben auch um einen Evolutionsnachteil handeln könnte weil man dauernd gezwungen ist, sich mit anderen darum zu schlagen, wer recht hat, ist natürlich auch einsichtig. 😉
Aber beim oben angesprochenen hatte ich zwischendurch den Eindruck, dass da ein wenig rumdiskutiert wurde. )
August 31st, 2008 at 17:37
Hallo,
Du bist nicht der erste, der sich über diesen Blog aufregt, und Du wirst sicher nicht der letzte sein. Wahrscheinlich lohnt sich die Aufregung wirklich nicht. Nur ein Satz noch zur Klarstellung: Dr. Blume ist mit seinen Ansichten in den Religionswissenschaften (und, soweit ich es beurteilen kann, wohl auch in der Kirche) ziemlich isoliert. (Deshalb betont er auch ständig die Bedeutung von Interdisziplinarität: weil er weiß, daß ihn INNERHALB der Religionswissenschaften niemand ernst nimmt.) Ich wollte dies nur zur Klarstellung sagen: die Kirche hat viele wichtige Funktionen, als Bewahrer von Kultur, als Träger sozialen Engagements usw. Der Mehrzahl der Kirchenmitglieder ist es völlig gleichgültig, ob sie in einigen Jahrzehnten irgendwelchen anderen Gruppen zahlenmäßig überlegen sein werden oder nicht. Man sollte sich da nicht von einigen überdrehten Bloggern ein falsches Bild vermitteln lassen.
September 1st, 2008 at 10:26
Lieber sapere aude,
zunächst einmal möchte ich Ihnen noch einmal für die gute Diskussion danken – und auch für Ihr Verständnis, dass ich mich sowohl vom Selbstverständnis wie auch aus Zeitgründen nicht für theologische Gespräche eigne. Vielleicht lernen wir uns ja auch einmal so kennen, ich würde mich freuen!
Zur Frage der Wissenschaftlichkeit: Mein Forschungsschwerpunkt ist der Zusammenhang von Religiosität und Reproduktion (immerhin DEM darwinschen Fitnessindikator). Selbstverständlich verfolge ich auch benachbarte Studiendebatten: etwa zu Religiosität und Gesundheit, Religiosität und Spendenbereitschaft, Religiosität und Kriminalität, Religiosität und Gewalt, Religiosität und Rauschmittelgebrauch, Religiosität und Architektur usw. Aber einen Expertenstatus für alle diese Gebiete kann und möchte ich nicht behaupten und glaube fast, dass sich damit auch jeder verheben würde.
Wegen “Meinung” bin ich in Deutschland schon immer wieder erstaunt. Kaum jemand wirft Thomas Metzinger, Bernulf Kanitscheider, Ulrich Kutschera u.v.m. vor, dass sie aus ihrer Wissenschaft atheistische Positionen ableiten. Auch Sie treten ja mit dem expliziten Anspruch an, dass Wissenschaft Gottesglaube widerlegen oder zumindest unplausibel machen würde.
Damit kann ich leben und umgehen. Nur muss ich mich wundern, wieviel Wut und Verdacht es umgekehrt auslöst, auf simple empirische Daten hinzuweisen – und darauf hinzuweisen, dass Wissenschaft eben kein Gegner von Religion sein muss. Schon “das” gilt als Sakrileg, obwohl ich nie behaupten würde, dass Wissenschaft Gott “beweist”. Ich glaube schlicht, dass sie uns die Freiheit lässt und damit die menschliche Religiosität immer wieder beeinflussen, nicht aber ersticken wird.
Es steht Ihnen und anderen doch frei, die von mir zitierten demografischen Befunde oder Fallstudien (z.B. zu den Amischen, orthodoxen Juden etc.) wissenschaftlich zu widerlegen bzw. ohne die Variable Religion zu erklären. Das wäre die wissenschaftliche Methode, mit Hypothesen und Thesen umzugehen. Mich persönlich zu beschimpfen ist dagegen kein wissenschaftliches Argument und schafft übrigens auch die Befunde längst nicht mehr aus der Welt.
Sapere aude – Lassen Sie uns Mut haben, uns unseres Verstandes zu bedienen!
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Michael Blume
PS: Zu den Amischen gibt es neue, demografische Daten – eine Verdoppelung in 16 Jahren durch Kinderreichtum!:
http://www.chronologs.de/chrono/blog/natur-des-glaubens/phanomene/2008-08-29/die-amischen-in-16-jahren-verdoppelt